2021/ Woche 19: Liebesgrüße aus Singapur
Moon bewegt Biden, ein wichtiges Dokument der Trump-Zeit anzuerkennen. Außerdem: Der Wahlmonitor zur China-Politik der Partei Die Linke.
Aktuell: Moon zu Gast in Washington
Die Relevanz der Region Indopazifik für die US-Regierung erscheint dieser Tage immer eindeutiger. Seit der zweiten Amtszeit von Barack Obama bewegt sich die nordamerikanische Außenpolitik sukzessive von einem Schwerpunkt auf Europa und dem Mittleren Osten immer weiter Richtung Ostasien.
Nachdem der japanische Premierminister Suga Yoshihide vor einigen Wochen als erster Regierungschef ein persönliches Treffen mit dem neuen US-Präsidenten Joe Biden abhalten konnte, folgte ihm nun der südkoreanische Präsident Moon Jae-In.
Südkoreanische Kommentatoren, besonders auf der konservativen Seite, beschworen in den Tagen davor angebliche Schwierigkeiten in den bilateralen Beziehungen zwischen Seoul und Washington herauf. Ein Beispiel sei die wenig kritische Haltung der Moon-Regierung gegenüber China, die bei der US-Administration für Verstimmung sorgte.
Diese Einschätzung dürfte sich nun als unhaltbar herausgestellt haben, wie ein Blick in die gemeinsame Erklärung verrät. Moon und Biden verpflichten sich,
[…] Frieden und Stabilität, rechtmäßigen ungehinderten Handel und die Achtung des Völkerrechts, einschließlich der Freiheit der Schifffahrt und des Überflugs im Südchinesischen Meer und darüber hinaus zu wahren. Präsident Biden und Präsident Moon betonen, wie wichtig es ist, Frieden und Stabilität in der Straße von Taiwan zu bewahren. Als Demokratien, die Pluralismus und individuelle Freiheit schätzen, teilen wir die Absicht, Menschenrechte und Fragen der Rechtsstaatlichkeit zu fördern, sowohl im Inland als auch im Ausland.
(meine Übersetzung)
Darüber hinaus steht seit einiger Zeit fest, dass Südkorea sein Verteidigungsbudget vergrößert und damit mehr Kosten im Rahmen des Verteidigungsbündnisses mit den USA übernimmt. Dies beinhaltet unter anderem auch Teile der Kosten, die durch die US-amerikanische Truppenstationierung im Land verursacht werden. Dies war über Jahre hinweg eines der Lieblingsthemen von Ex-Präsident Trump, der von Alliierten grundsätzlich mehr finanzielle Beteiligung an der kollektiven Selbstverteidigung verlangt hatte.
Washington hat offensichtlich aber noch weitere Zugeständnisse von Seoul erhalten. Dazu gehört neben der bereits genannten verbalen (zwischen den Zeilen gelesenen) Unterstützung für Taiwan auch finanzielle Entwicklungshilfe für mittelamerikanische Staaten wie Honduras und El Salvador, welche von den USA zur Eindämmung von Flüchtlingswellen angeheuert wurden.
Südkoreas Präsident konnte aber auch einen entscheidenden Erfolg verbuchen: das unter Trump ausgehandelte Singapur-Abkommen zwischen den USA und Nordkorea wird offizielle Grundlage für Washingtons weitere Verhandlungen mit Pjöngjang. Für Moon, dessen Amtszeit im kommenden Jahr enden wird, war Nordkorea mit Abstand der wichtigste Punkt auf der außenpolitischen Agenda. Auch wenn eine Annäherung aufgrund zahlreicher Faktoren weiterhin unwahrscheinlich bleibt, hat man mit dem Abkommen den wichtigsten Verbündeten aber dazu verpflichtet, weiterhin nach einer friedlichen Lösung basierend auf bereits formulierten Zielen zu suchen.
Fraglich bleibt: Wird die koreanische Halbinsel auch abseits des Themenkomplexes China relevant sein für die Biden-Regierung? Im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger scheint der jetzige US-Präsident nicht daran interessiert, offizielle Treffen mit Kim Jong-Un abzuhalten. Welche Regierung in Seoul nächstes Jahr übernehmen wird, ist weiterhin unklar. Die Mitte-Links-Regierung könnte unter neuen Führung ihre Arbeit fortsetzen. Jedoch haben kürzlich unerwartet eindeutige Siege bei entscheidenden Bürgermeisterwahlen in Seoul und Pusan dafür gesorgt, dass die Hoffnungen der Konservativen landesweit wieder steigen konnten.
Weiterführend: David Ignatius analysiert in der Washington Post, warum seiner Ansicht nach Nordkorea und Taiwan die wichtigsten Herausforderungen in Bidens erster Amtszeit sein werden.
Wahlmonitor (2/5): Die Linke und ihre Außenpolitik - Zeit zu handeln, Zeit zu streiten?
Wir begeben uns nach der Analyse des FDP-Wahlprogramms in der vergangenen Woche nun ans andere Ende des demokratischen Spektrums. Auch die Linkspartei hat bereits ein Programm vorgelegt, in welchem wir einige Hinweise auf außenpolitische Standpunkte erkennen können. Im Gegensatz zur FDP finden sich allerdings deutlich weniger Bezüge auf Ostasien und speziell China. Insgesamt findet China viermal Erwähnung (Taiwan zum Beispiel kein einziges Mal). Der Kontext der Erwähnungen ist dabei meistens eine für Die Linke nicht untypische anti-amerikanische Haltung, wie hier im Leitantrag zu lesen:
Doch auch mit dem neuen US-Präsidenten droht eine Fortsetzung des Konfrontationskurses. USA und EU versuchen, ihre Vormachtstellung gegen Russland und China durchzusetzen. In Strategiepapieren der NATO und EU werden Russland und China als Feindbilder beschrieben, das lehnen wir ab. Das droht, in einen neuen Kalter Krieg zu eskalieren. Aber die Bundesregierung und die Europäische Union rüsten auf –und verschärfen so die Konflikte. Wir wollen dagegen einen Paradigmenwechsel in der Außenpolitik und stehen für gewaltfreie Konfliktlösung und grenzübergreifende Kooperation statt Rüstungsexporte und Auslandseinsätze der Bundeswehr.
Kein Wort findet sich im weiteren Abschnitt oder im gesamten Dokument zu Menschenrechtsverletzungen und einem möglichen Völkermord Chinas, kein Wort zum kontinuierlichen Bruch des Völkerrechts durch den chinesischen Staat. Das könnte man auf der einen Seite bemerkenswert finden bei einer Partei, die sich in den vergangenen Jahren immer stärker für Menschenrechte eingesetzt hat.
Auf der anderen Seite ist der fehlende Bezug auf ganze Weltregionen und dort relevante Themenkomplexe ein Zeichen, dass die Partei durch innere Spaltung nicht zu konkreteren Aussagen in der Lage sein dürfte.
Dabei gibt es in den Reihen der Linken durchaus außenpolitische Kompetenz. Bestes Beispiel dürfte der ehemalige außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion Stefan Liebich sein. Er ist weiterhin Vize-Vorsitzender der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe und äußerte sich unter anderem zu den wachsenden chinesischen Investitionen im Balkan dem Cicero gegenüber wie folgt:
Ein „Trojanisches Pferd“ Chinas vor den Toren der EU und mit Ungarn sogar eines innerhalb der Union? „Jede Lücke die die Europäische Union lässt, nutzt China sehr geschickt“, sagt Stefan Liebich, langjähriger Abgeordneter der Linken im Deutschen Bundestag und dort stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe. Er weist darauf hin, dass sich viele Staaten von der EU alleine gelassen fühlen. „Je düsterer die Aussichten auf einen EU-Beitritt, desto größer ist der innenpolitische Druck in den jeweiligen Ländern, sich anderweitig zu helfen“, sagt Liebich.
Liebich, als vorbildlicher Parlamentarier, scheint zudem jede an ihn gerichtete Frage bei Abgeordnetenwatch zu beantworten. Als er über die Möglichkeit einer Invasion Taiwans durch die Volksrepublik China und eine notwendige Reaktion Europas darauf gefragt wurde, antwortete er so:
[…] nach meiner Überzeugung haben die Volksrepublik China wie auch Taiwan kein Interesse an einer militärischen Auseinandersetzung, auch wenn manche Aussagen nicht immer friedfertig klingen. Vor diesem Hintergrund erübrigen sich meines Erachtens Spekulationen über eine europäische Reaktion.
Damit äußert Liebich sich deutlich weniger apokalyptisch als andere Expertinnen, jedoch dürfte er mit der Ansicht, China würde eine friedliche Annäherung an Taiwan bevorzugen, durchaus richtig liegen. Diese Perspektive wäre tatsächlich ein erster Ansatz für eine eigenständige europäische Perspektive auf China, die weder den Konfrontationskurs der USA fährt noch sich Peking zu sehr anbiedert.
Doch Liebichs labwägende Außenpolitik scheint derzeit ein Auslaufmodell in der Partei zu sein. Er möchte seinen Wahlkreis in Berlin nach dreimaligem Gewinn des Direktmandats (unter anderem gegen SPD-Kandidat Wolfgang Thierse) nicht verteidigen und wird im Herbst aus dem Parlament scheiden. Das Amt des außenpolitischen Sprechers der Linksfraktion hatte er schon 2020 an den auch nicht gerade als Jungpolitiker zu bezeichnenden Gregor Gysi abgegeben.
Einige Linke scheinen vielmehr der Ansicht zu sein, dass man in China und ähnlichen Regimen ideologische Verbündete sehen müsste. So auch Hans Modrow, letzter Vorsitzende des Ministerrats der DDR und derzeit Mitglied im Ältestenrat der Linken, schrieb in der parteinahen Tageszeitung Neues Deutschland über die Corona-Pandemie und eine mit China verbundene Erkenntnis:
[…] gleichzeitig stellte man erstaunt fest, dass man in China innerhalb von Wochen neue Krankenhäuser errichtete, Millionen Mundschutzmasken produzierte (und damit auch noch die Welt beliefern konnte) und auch sonst mit medizinischem Rat und solidarischer Tat anderen Staaten zur Seite stand. Die Weltgesundheitsorganisation würdigte die Leistungen der Volksrepublik als vorbildlich - während in vermeintlich reichen kapitalistischen Industriestaaten allenthalben Mangel und Notstand im Gesundheitsbereich vorherrschten. Dort überstiegen alsbald die Zahlen der Infizierten und Toten diejenigen in China.
[…]
Auf einmal stellte sich die Systemfrage wieder. Sie war nie weg. Sie wurde nur nicht mehr gestellt, seit der Sozialismus sowjetischer Prägung in Europa untergegangen war. Und in die propagandistische Ablehnung und Auseinandersetzung wurde der Sozialismus chinesischer Prägung im Westen gleich mit einbezogen. Damit erledigte man aktiv auch jedes Nachdenken über gesellschaftliche Alternativen.
Wenn eine generell antichinesische Haltung sicherlich zu Problemen führen kann, sollte man sich doch überlegen, ob das System der Volksrepublik grundsätzlich besser funktioniert. Und ob Modrow da nicht der Regierung in Peking auf den Leim gegangen ist, die Kommunismus predigt aber einen staatsgelenkten Kapitalismus voranbringt. Zudem blendet es aus, dass das kapitalistische Taiwan die Krise objektiv deutlich besser gemeistert hat als die Volksrepublik China.
(Mit dieser positiven Haltung hat sich dann in der gleichen Zeitung auch Linken-Politiker Wulf Gallert kritisch auseinandergesetzt)
Somit bleibt festzuhalten, dass der Fokus der Linken sicherlich nicht in Asien liegt und vielleicht sogar nicht mal im Bereich Außenpolitik. Die ideologische Spaltung der Partei tritt hier ebenso wie bei anderen Themenfeldern zutage. Wenn auch nach aktuellen Umfragen eher unwahrscheinlich, müsste sich die Partei in einer potentiellen Fraktion Grün-Rot-Rot doch die Frage stellen, wie man mit China umgehen sollte und welche Rolle Europa in der Region Indopazifik spielen kann.
Weiterführend: ein Interview mit dem derzeitigen außenpolitischen Sprecher der Linksfraktion, Gregor Gysi, in dem er unter anderem ein neues Bündnis kollektiver Sicherheit abseits der NATO empfiehlt, welches auch Russland und China beinhalten könnte.
Was sonst noch geschah:
Asahi Shimbun mit klarer Haltung: Japans zweitgrößte Tageszeitung, mit einer verkauften Auflage von über acht Millionen Exemplaren, hat sich diese Woche gegen die Durchführung der Olympischen Spiele in Tokyo positioniert. Das linksliberale Blatt appelliert an den gesunden Menschenverstand der Verantwortlichen (meine Übersetzung):
[…] der Slogan der "kompakten Olympiade für den Wiederaufbau nach der Katastrophe", der von der japanischen Regierung zum Zeitpunkt der Bewerbung kreiert wurde, wurde unterwegs beiseite geworfen und durch "Olympiade zum Beweis des Triumphs der Menschheit über COVID-19" ersetzt. Aber jetzt, da auch dies unhaltbar ist, werden die Olympischen Spiele in Tokyo zu einem Werkzeug für die Suga-Regierung, um an der Macht zu bleiben und die nächste Wahl zu gewinnen. Der Premierminister ist Berichten zufolge entschlossen, mit den Spielen fortzufahren, egal was das japanische Volk zu sagen hat. […]
Suga muss über all das nachdenken, und dasselbe gilt für die Gouverneurin von Tokyo, Koike Yuriko, die Präsidentin des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele in Tokyo, Hashimoto Seiko, und alle leitenden Mitglieder des Komitees.
Der Kommentar auf Englisch im Volltext. Währenddessen hat die japanische Regierung den Pandemie-Ausnahmezustand für neun Präfekturen inklusive Tokyo bis Mitte Juni verlängert.
Taiwan ist ein Land, Teil 1 - Kein BioNTech für Taipeh: Die Regierung Taiwans erhebt erneut Vorwürfe gegen den deutsche Pharmakonzern. Dieser soll sich aufgrund des chinesischen Drucks weigern, einen Vertrag mit dem Inselstaat über Lieferung des Corona-Impfstoffes zu unterzeichnen. Die SCMP mit mehr.
Taiwan ist ein Land - Teil 2 - John China? Der ehemalige Profiwrestler und Schauspieler John Cena hat sich diese Woche eine Menge Feinde gemacht - zuerst in Festlandchina und dann im Rest der Welt. In einem Interview zu einem neuen Film bezeichnete er Taiwan als Land. Chinas Online-Trollarmee war dann auch gleich da, um ihn auf äußerst unhöfliche Weise auf diesen Fehler hinzuweisen. Nach seiner Entschuldigung hat er nun das Problem, dass alle anderen von ihm genervt sind. Zahlreiche John China Memes haben das Internet seitdem bereichert. Nicht der erste Fall, bei dem westliche Schauspieler oder Prominente einen schmalen Grat zu wandern versuchen. Erinnert zudem ein wenig an die Mulan-Kontroversen des Disney-Konzerns aus dem vergangenen Jahr. (Danke an Enoh für den Hinweis)
Keine Lust auf Autoritarismus: Junge Hong Konger wandern in großen Zahlen aus, da sie in ihrer Heimat keine Zukunft mehr sehen. Die Tagesschau berichtet, wie jeder Cent für den Visumsantrag in Großbritannien oder den USA gespart wird.
Und zum Schluss…
Ich überlege schon seit Tagen, ob sowas nicht auch ein deutscher Parkwärter machen würde:
Soweit war es das für diese Woche. Kommentare, Themenvorschläge oder Kritik? Immer gerne per E-Mail an ausblickost [at] gmail . com oder über Twitter. Dieser Newsletter darf auch gerne an Interessierte weiterempfohlen werden. Bei Paywall-Problemen in verlinkten Artikeln stehe ich gerne mit Hilfe bereit. Bis zum kommenden Freitag und Wohlan!