2021/Woche 18: Nie gab es mehr zu verstehen
Warum sich ein Blick ins Wahlprogramm der FDP für uns lohnt. Und: spannende Artikel des vergangenen Monats.
In den kommenden Wochen werde ich im Newsletter nach und nach die im Bundestag vertretenen Parteien (außer einer) und deren Wahlprogramme vorstellen. Der Fokus soll dabei auf der Außenpolitik und besonders auf Ostasien liegen. Aus gegebenem Anlass wird es dabei meistens um China gehen. Aber es haben sich auch andere Ländernamen in die Wahlprogramme geschlichen, wie unser erstes Beispiel heute schon zeigt.
Wahlmonitor (1/5): FDP und China - Wirtschaft ist nicht alles
Seinerzeit muss dieser Moment an mir vorbeigegangen sein oder er wurde inzwischen erfolgreich verdrängt. 2019 nämlich stand FDP-Chef Christian Lindner auf dem Bundesparteitag seiner Patronagepartei vor folgenden vier chinesischen Schriftzeichen:
经济政策 (Aufklärung am Schluss)
Lindner sprach dann auch kurz auf holprigem Mandarin, bevor er den Versammelten erklärte, unsere Kinder müssten in Zukunft neben Englisch zusätzlich auch Chinesisch lernen. Schließlich dürfe man sich diesem trotz politischer Gegensätze Markt nicht verschließen.
Was hat sich an der gefühlt doch äußerst optimistischen Sicht der Liberalen auf die Volksrepublik China seitdem geändert? Erstaunlich viel, wie mir bei der Recherche auffiel. Bevor wir zum Wahlprogramm übergehen, sei an drei Entwicklungen der letzten Jahre hingewiesen.
1. KP-Funktionär faltet Liberalen zusammen
Eine Delegation der FDP war 2019 auf einer Reise durch Asien, um Inspirationen für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sammeln. Unter anderem war die Gruppe um den Parteivorsitzenden auch in Festlandchina. Das Handelsblatt berichtet von angeblichen Terminschwierigkeiten auf chinesischer Seite – und mehr:
Wenn zwei Tage voller Termine ersatzlos gestrichen werden, noch dazu mit einer solchen Begründung, ist das ein Affront. Doch es kam noch schlimmer: Ein Termin mit einem Funktionär der KP wurde zwar aufrechterhalten, doch der schrie die Delegation um FDP-Chef Christian Linder laut Angaben aus Teilnehmerkreisen rund 30 Minuten lang nur an. Das Thema: Hongkong.
Neben der positiven Sicht, die die FDP wirtschaftlich auf China gehabt zu haben scheint, sind die Liberalen in der Vergangenheit immer wieder durch ihr Eintreten für Menschenrechte in der Volksrepublik aufgefallen. Die parteinahe Friedrich-Naumann-Stiftung ist – anders als die Stiftungen von Union, SPD oder Grünen – nicht mehr in Festlandchina vertreten. Vor längerer Zeit musste man schon nach Hong Kong umziehen. Seit den politischen Entwicklungen in der Sonderwirtschaftszone ist die Naumann-Stiftung aber auch dort nicht mehr vertreten.
2. Global Innovation Hub nach Taipeh umgezogen
2019 wurde das sogenannte Global Innovation Hub der Stiftung in Hong Kong eröffnet, um „als Katalysator für digitale Projekte zur Stärkung der Demokratie und offenen Gesellschaft“ zu dienen. Seitdem Peking stärker in die politische Struktur Hong Kongs eingreift, hat man es sich bei der Stiftung aber nochmal überlegt. Letztes Jahr ist man in die Hauptstadt Taiwans, Taipeh, umgezogen. Man verwies dabei auf die demokratischen und pluralistischen Strukturen der taiwanischen Gesellschaft und darauf, dass die regierende DPP als Mitglied von Liberal International ja praktisch eine Schwesterpartei der FDP sei.
3. Auf Konfrontationskurs
Die Corona-Pandemie hat Lindners in Teilen positive Sicht auf China dann vollends beendet. Immer wieder hat die FDP im Bundestag Anträge eingebracht, die eine Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik mit Bezug auf China fordern. Hier ein Auszug aus der Pressemitteilung des Bundestags zum Antrag der FDP-Fraktion aus dem Oktober 2020:
Um die Rahmenbedingungen zu verbessern, sollten Handelsabkommen mit Asien forciert werden. China sollte nach den Vorstellungen der Antragsteller durch Fortentwicklung internationaler Handelsregeln - etwa im Rahmen einer Reform der Welthandelsorganisation WTO - stärker in das regelbasierte Welthandelssystem integriert werden. Weitere Forderungen zielen auf die Streitbeilegung von Konflikten im Südchinesischen Meer und auf eine Neuausrichtung der Entwicklungszusammenarbeit, um insbesondere „die afrikanischen, asiatischen und südamerikanischen Staaten in die Lage zu versetzten, sich nicht in einseitige Abhängigkeiten der von China mittels seiner Entwicklungszusammenarbeit verfolgten geostrategischen Interessen begeben zu müssen“. Außerdem setzen sich die Abgeordneten für Sanktionsmaßnahmen gegen Parteifunktionäre der Kommunistischen Partei China ein, die für schwere Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land verantwortlich seien.
Die Formulierung ist dabei bemerkenswert, da die Liberalen sich hier offensichtlich ein wenig der Terminologie der US-Republikaner und der damaligen Trump-Regierung bedient zu haben scheinen. Es wird am Schluss explizit ein Unterschied zwischen China und der regierenden Kommunistischen Partei gemacht. Man soll also lesen können: die chinesische Regierung ist böse, aber das Volk nicht unbedingt. Wenn die beiden Gruppen in einem Ein-Parteien-Staat zwar nicht so einfach zu trennen sind, wird diese glasklare Unterscheidung gerne im Westen gemacht, um sich nicht dem Vorwurf einer grundsätzlich antichinesischen Haltung auszusetzen.
Das Wahlprogramm:
Aufgrund dieser Entwicklungen fällt das Wahlprogramm der FDP dann auch entsprechend eindeutig in Bezug auf China und Taiwan aus:
Man sieht sich in einem systemischen Wettbwerb mit China. Diese Konkurrenz muss vor allem durch Innovationen im fairen Wettbewerb entschieden werden. China soll bei Lösung der nuklearen Bewaffnung mitgedacht und einbezogen werden; Die Beziehungen zwische der EU und der Volksrepublik China sollen auf klaren Prinzipien fußen, nämlich der Einhaltung des Völkerrechts, vor allem der Ratifizierung von ILO-Konventionen zum Arbeiterschutz. Wichtig sind letztere vor allem bezüglich Investitionsabkommens CAI zwischen Europa und Peking. Das CAI liegt derzeit auf Eis, nachdem China Sanktionen gegen mehrere Europaparlamentarier und Think Tanks in Europa verhängt hat.
China soll sich auch intern an grundlegende Menschenrechte halten:
Die beispiellose technische Überwachung der Bevölkerung sowie Unterdrückung ethnischer und religiöser Minderheiten durch den chinesischen Staat steht im Widerspruch zu Chinas völkerrechtlichen Verpflichtungen. Durch die Internierung und Zwangssterilisierung von Angehörigen ethnischer Minderheiten setzt sich China dem Vorwurf des Völkermordes aus. All diese Themen müssen im Rahmen des EU-China-Dialogs mit Nachdruck angesprochen werden. Das erwarten auch Chinas Nachbarn von uns, die oftmals einer Politik aktiver chinesischer Einschüchterung unterliegen.
Ja, die FDP wirft China im Wahlprogramm tatsächlich fast direkt vor, einen Völkermord an den Uiguren zu begehen. Zudem bemerkenswert: die FDP beruft sich hier auf eine engere Kooperation mit „Chinas Nachbarn“ Damit sollen wohl vor allem Japan, Südkorea oder auch Taiwan gemeint sein. Mit Blick auf die sich entwickelnde europäische Sicht auf den Indo-Pazifik ließe sich diese nicht näher definierte Gruppe aber noch um Länder wie Vietnam, Indien oder Indonesien erweitern.
Die FDP hatte zu Beginn folgenden Absatz zu Taiwan im Wahlprogramm stehen:
Unter Wahrung der „Ein-China-Politik“ befürworten wir die Bemühungen Taiwans um Einbindung in internationale Organisationen – soweit dies unterhalb der Schwelle einer staatlichen Anerkennung erfolgen kann. Wir wollen zudem, dass Deutschland und die EU den Ausbau der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Beziehungen vorantreiben. Eine Vereinigung von China und Taiwan kann nur im friedlichen Konsens erfolgen. Militärische Drohgebärden der Volksrepublik China gegen Taiwan verurteilen wir aufs Schärfste.
Auch wenn das schon fast revolutionär aus deutscher Sicht klingt, wird hier noch auf die von mir vor einigen Wochen vorgestellte „Ein-China-Politik“ hingewiesen. Diese ist weder bindendes Völkerrecht noch ist sie wirklich definiert. Peking und Taipeh verstehen unter dem Begriff vollkommen unterschiedliche Dinge.
(Der Entwurf des Programms hier nochmal im Volltext)
Was sich dann auf dem FDP-Parteitag abspielte, hat sogar für Schlagzeilen in Taiwan gesorgt. Der Hinweis auf die Wahrung „Ein-China-Politik“ wurde nach Anträgen mehrerer Landesverbände ersatzlos gestrichen, weil er missverständlich sei. Der deutsche Dienst von Radio Taiwan International titelte:
Fazit: Dieser ausführliche Blick auf die FDP war aus meiner Sicht tatsächlich sehr aufschlussreich. Zum einen sieht man die schrittweise Entwicklung der letzten Jahre, während derer sich die liberale Wirtschaftspartei von einer eher blauäugigen Sicht auf die Verheißungen des chinesischen Absatzmarktes vollkommen verabschiedet zu haben scheint. Stattdessen hat man sich als Oppositionspartei außenpolitisch vor allem auf die schon verloren geglaubten eigenen bürgerrechtlichen Werte berufen, eine engere Zusammenarbeit mit Taiwan angestrebt und die kommunistische Führung Chinas substantiell kritisiert. Der Entwurf des Wahlprogramms erwähnt China ganze siebzehn Mal, Taiwan sechsmal. Beides dürfte im Vergleich zu den anderen Bundestagsparteien quantitativ weit vorne liegen.
Spannend dürfte es auf der anderen Seite dann nach der Bundestagswahl werden. Den Umfragen nach könnte es gut sein, dass die FDP in einer Dreierkoalition mit Grünen und SPD beziehungsweise Grünen und Union in der kommenden Bundesregierung vertreten sein wird. Ob das alles die deutsche Außenpolitik in Bezug auf China beeinflussen kann?
Die chinesischen Schriftzeichen hinter FDP-Chef Linder auf dem Parteitag 2019 bedeuten übrigens, ganz unspektakulär: „Wirtschaftspolitik“
Monatslese: Spannendes zur Region Ostasien
Nach diesem langen Ausflug in die deutsche Parteipolitik bleibt noch Zeit für eine weitere neue Rubrik, in der ab sofort monatlich interessante Artikel, Podcasts und Sendungen zu Ostasien vorgestellt werden sollen.
Hamburgs Chinatown im Dritten Reich: Dass mindestens seit den 1920er Jahren eine lebendige chinesische Community in Hamburg lebte, dürfte aufgrund der Stellung Hamburgs als Welthafen nicht verwunderlich sein. Die Geschichte der chinesischen Bewohnerinnen der Hansestadt während der Nazi-Zeit und auch danach ist ebenso bedrückend wie bemerkenswert:
Wie ist es eigentlich, eine Muttersprache schrittweise zu verlieren? Folgender Text aus dem Tagesspiegel gibt Einblicke.
Arm sein in einem reichen Land: Jeder, der schon mal in Japan war, dürfte von der oft peniblen Sauberkeit der Großstädte fasziniert sein. Alles sieht gepflegt und wohlhabend aus. Doch Armut verbirgt sich oft ganz gut hinter dieser Fassade. Diese arte-Dokumentation zum fantastischen Film Shopflifters beleuchtet das Phänomen näher.
Was sonst noch geschah:
Die Rückkehr von Abe Shinzo? Anscheinend ist Japans Ex-Premierminister politisch wieder umtriebig geworden, wie Tobias Harris mit Verweis auf Asahi Shimbun (leider Paywall) erklärt:
Taiwan ist zum ersten Mal seit Beginn der Pandemie im Lockdown. Die Corona-Fallzahlen sind auf der Insel in der letzten Woche stark angestiegen. Wie das Land dennoch versucht, es allen Gesellschaftsschichten leicht zu machen, zeigt Focus Taiwan.
Ein diplomatisches Drama spielt sich dieser Tage in Honduras ab: Das Land ist einer der letzten diplomatischen Verbündeten von Taiwan. Peking versucht das durch gezielte Impfdiplomatie dieser Tage zu ändern. Die Straits Times hat mehr dazu.
Und zum Schluss…
Soweit war es das für diese Woche. Kommentare, Themenvorschläge oder Kritik? Immer gerne per E-Mail an ausblickost [at] gmail . com oder über Twitter. Dieser Newsletter darf auch gerne an Interessierte weiterempfohlen werden. Bei Paywall-Problemen in verlinkten Artikeln stehe ich gerne mit Hilfe bereit. Bis zum kommenden Freitag und Wohlan!