Eine ereignisreiche Woche liegt hinter uns. Die Welt wartet gespannt darauf, dass Rohrbrüche in Georgia, Neuauszählungen im Rust Belt und Eilverfahren vor Gerichten noch den Ausgang der US-Wahl beeinflussen werden. (Zur Zeit der Veröffentlichung liegt Biden bei 264 von 270 notwendigen Stimmen im Electoral College)
Einschätzung: Der Wechselkurs Dollar-Yuan zeigt schonmal, wie die chinesische Wirtschaft den Ausgang der Wahl einschätzt (Via Quartz).
Weil wir bezüglich der Wahl hier auch nur noch heiße Luft produzieren können, geht es heute um andere Themen aus der Region Ostasien. Wir reisen nach Taiwan und Japan, um dort dann eigentlich doch über China zu sprechen...
Taiwan und Covid-19: Wie besiegt man eine Pandemie?
Der Inselstaat Taiwan (oder wie Peking gerne sagt: „die abtrünnige Region Taiwan“) hat wie kaum ein anderes Land der Welt professionell auf Covid-19 reagiert. Bis heute (Stand: 06.11.2020) gibt es etwa 560 Fälle und nur sieben Tote; seit April gab es keine Neuinfektionen vor Ort.
Taiwan hat knapp 24 Millionen Einwohner, aber in den letzten Monaten weniger Infektionen als Partys im Weißen Haus.
Das hat in den internationalen (auch den deutschen) Medien für viel Aufmerksamkeit gesorgt. Einige Gründe werden immer wieder gerne genannt:
Erfahrungen mit SARS 2002: durch die schlechte Informationslage in Festland-China konnte sich die Regierung in Taipei nicht auf den großen Nachbarn verlassen. Peking verhindert seit langer Zeit Taiwans Aufnahme in die Weltgesundheitsorganisation.
Die Lösung: Eigenständigkeit. Das Land hat sich nicht auf internationale Hilfe verlassen und musste vorsorglich nationale Lösungen finden.
Masken-Rationierung: Taiwaner haben seit Februar nur begrenzt Masken kaufen können, vor allem in staatlichen Apotheken. Bürger und vor allem die sogenannten „Civic Hacker“ haben Apps fürs Mobiltelefon programmiert, die direkt auf Daten aus dem Gesundheitssystem zugreifen. So können Taiwaner sich immer informieren, wo noch Masken zu kaufen sind.
Strenge Grenzkontrollen: Schon Anfang Januar hat man Rückkehrer aus dem Ausland unter Quarantäne gestellt. Das war noch deutlich bevor in Festland-China Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung getroffen wurden.
(Mehr dazu bei der Tagesschau vom März)
Das sind gerne genannte Gründe in den Medien dieser Welt. Zwei kleine Faktoren, die mir zusätzlich wichtig erscheinen und die überraschen:
Das große Vertrauen der Bevölkerung in die Obrigkeit: Äußerst verwunderlich in einer so polarisierten Demokratie wie Taiwan. Im Westen hat man gerne ein Bild von asiatischen Ländern, in denen die fügsame Bevölkerung sich der strengen Hierarchie unterwirft. Das liegt dann angeblich am konfuzianischen Weltbild.
Taiwan zeigt die Grenzen einer solchen Erklärung: Normalerweise sind 50% der Taiwaner zufrieden mit der Regierung, 50% nicht (typisches Zwei-Parteien-System?... *USA*...) (Mehr über das wachsende Vertrauen der Bevölkerung hier)
Wirtschaftsstruktur: Taiwan ist mittlerweile eine liberale Volkswirtschaft, vor allem exportorientiert. Das war nicht immer so: über Jahrzehnte während der Militärherrschaft der chinesischen Nationalisten um Chiang Kai-chek wurde sogenannte „Developmental State Economy“ betrieben. Daher war es nun leichter, die Staatskontrolle über private Unternehmen zu reaktivieren, um Masken und andere notwendige Produkte herzustellen. (Diese spannende Studie dazu von Wei-Ting Yen ist frei zugänglich und äußerst lesenswert)
Chinesische Propaganda 2020, Teil 1: Japan
Ein Thema, das uns in den kommenden Wochen weiter beschäftigen wird, ist Chinas Versuch der Imagepflege. Wie jede vernünftige Weltmacht (siehe Voice of America oder auch RT) versucht auch die Volksrepublik, Bevölkerung und Politiker in anderen Ländern zu beeinflussen.
Der Ansatz:
Japan ist ein besonders schwieriges Pflaster für Peking. Ungeklärte Kriegsverbrechen von japanischer Seite, ideologische Gegensätze im Kalten Krieg und wachsender Nationalismus auf beiden Seiten machen eine ernsthafte Annäherung fast unmöglich.
Covid-19 hat eine ideale Möglichkeit der Völkerfreundschaft geliefert: Tokyo und Peking haben sich gegenseitig Masken geschickt und die Regierungen haben ihre Solidarität bekundet
Xinhua, Chinas staatliche Nachrichten-Agentur, hat die Entwicklung ausdrücklich begrüßt (mehr dazu beim sehr optimistischen Brookings Institute)
Der Backlash:
Jahrzehnte der politischen Feindschaft werden nicht durch ein paar Maskenladungen beseitigt. Besonders Japans Nationalisten (mit starkem Einfluss in der Regierungspartei) haben die Annäherungsversuche abgelehnt. Doch auch die japanische Bevölkerung sieht China fast vollständig negativ: Zwar hat sich laut Pew Research das japanische Bild von China seit letztem Jahr nur um 2-3% verschlechtert. Das liegt aber vor allem daran, dass schon vor der Pandemie mehr als 90% der Japaner ein negatives Bild von China haben
(Die gesamte weltweite Pew-Umfrage hier)
Der Ausblick:
China und Japan kämpfen um die politische Führungsrolle in der Region. Infrastrukturprojekte wie die chinesische Belt and Road Initiative aber auch Japans gemeinsames Projekt mit Indien und den USA (Stichwort Blue Dot Network) sind der Hauptfokus. Jedoch bleibt auch Soft Power ein relevanter Faktor. Eine ernsthafte Annäherung zwischen beiden Ländern bleibt auch in Krisenzeiten unwahrscheinlich.
Mehr über chinesischen Einfluss in Japan hat Devin Stewart vom CSIS in einem aktuellen Report zusammengefasst.
Und zum Schluss:
Chinesische Propaganda in sozialen Netzwerken ist deutlich unprofessioneller als die gefürchteten russischen Bots. Wer sich näher mit den hunderttausenden Fake-Accounts auf Twitter beschäftigt, findet herrliche Übersetzungsfehler und Content, der sicherlich nicht unter ernsthafte Propaganda fallen dürfte.
Schönes Beispiel ist der folgende Tweet:
"After watching for over fifteen minutes, I don't think that RuPaul's Drag Race has anything to do with automobiles"
(via Chinatalk, dort auch eine schöne Visualisierung von chinesischer Propaganda auf Twitter etc.)
Vielen Dank an dieser Stelle nochmal für das Feedback der vergangenen Woche. Fragen, Kritik und Empfehlungen sind einzureichen über Twitter oder per Email an ausblickost@gmail.com.