Ausblick Extrablatt: Unterhauswahl in Japan 2021
Die LDP kann sich trotz einiger geringer Verluste stark behaupten. Die größte Oppositionspartei versagt fast auf ganzer Linie. Und: Ausreißer in Osaka.
Eine Entscheidung für die Kontinuität
Es war ein ereignisreicher Sonntag in Japan. So hatte ein Mann in einem Nahverkehrszug in Tokyo mutmaßlich mit einem Messer mehrere Passagiere teils schwer verletzt. Diese Meldung unterbrach auch immer wieder die Wahlberichterstattung des staatlichen Rundfunks NHK und anderer Medien.
Pünktlich zur Schließung der Wahllokale um 20 Uhr konnte dann bereits eine großer Anzahl der Sitze im neuen Parlament sicher von den Medien angezeigt werden:
NHK wartete im Laufe des langen Wahlabends dann immer wieder mit Grafiken auf, bei denen sowohl John King von CNN als auch Jörg Schönenborn im Ersten vor Neid erblassen dürften. Zwischenzeitlich fuhr eine der Moderatorinnen sogar in einem virtuellen Fahrstuhl in die Twitter-Sphäre, um mit ihrem Kollegen die Wahlreaktionen in den sozialen Medien zu kommentieren.
LDP: Keine Niederlage für “Mr. Status Quo”
Abgesehen von den Special Effects gestaltete sich die Unterhauswahl gestern in Teilen äußerst vorhersagbar: Die regierende LDP konnte eine alleinige Mehrheit im Parlament erreichen. Sie kommt auf 261 der 465 Sitze (-15). Zusammen mit Juniorpartner Komeito (32 Sitze; +3) kommt das Regierungslager auf eine komfortable Mehrheit, die die Umsetzung wichtiger Gesetzesprojekte wie einem weiteren Konjunkturpaket erlaubt.
Internationale Medien weisen jetzt gerne darauf hin, dass die Mehrheit der LDP geschrumpft ist. Der kombinierte Verlust von 12 Sitzen für LDP/Komeito ist aber so geringfügig, dass es eigentlich eher nach Stillstand aussieht. Gerade aufgrund der schlechten Umfragewerte für die LDP und Kishidas Regierung in den letzten Wochen ist das mehr als ein Erfolg.
Einziger größerer Wermutstropfen: Der Generalsekretär der LDP, Amari Akira, verlor überraschenderweise sein Direktmandat in der Präfektur Kanagawa. Damit war er übrigens nicht der einzige LDP-Veteran, der nun sein Direktmandat abgeben muss. Beobachter Tobias Harris geht davon aus, dass sich durch diese Niederlage für Premier Kishida Fumio eine Gelegenheit bietet, die eigene Machtposition innerhalb der Partei zu stärken und “alten Ballast” abzuwerfen und das Personal auszutauschen.
Fazit: Trotz leichter Verluste kann die LDP zusammen mit der Komeito weitere vier Jahre mit komfortabler Mehrheit weiterregieren. Die Angst, man könne deutlich mehr Direktmandate an die Opposition verlieren, stellte sich mit Ausnahme der Präfektur Osaka als strukturell unbegründet heraus. Zurücklehnen wird man sich dennoch nicht: im kommenden Jahr finden die Wahlen zum Oberhaus statt. Hier hat man zwar eine Mehrheit, doch die Dynamiken sind anders. Hier zählen Persönlichkeiten im Zweifel mehr. Die Niederlagen der LDP bei einer Reihe von Zwischenwahlen zum Oberhaus in den letzten Monaten lassen darauf schließen, dass die Opposition mit der richtigen Taktik der LDP empfindliche Verluste zufügen kann. Die Mehrheit im Oberhaus ist wichtig, um Gesetze verabschieden zu können. Insgesamt sieht es jedoch so aus, als ob Kishida mit einem solch komfortablen Wahlsieg nun länger als nur ein Jahr im Amt bleiben könnte.
KDP: Eine katastrophale Wahlnacht und die notwendige Suche nach einer neuen Führungsfigur
Die Opposition und besonders die KDP als größte Partei in diesem Lager haben gestern der LDP zwar ein paar empfindliche Verluste beschert. Einige Wahlbezirke sind kompetitiver geworden – doch in fast allen Fällen hat man nicht das ersehnte Direktmandat erreicht. Keine in der Summe dazugewonnenen Sitze, kein Umschwung. Zudem schnitten auch zahlreiche Führungsfiguren der KDP in ihren Bezirken unterdurchschnittlich ab oder verloren sogar ihr Direktmandat. Ging man noch mit 109 Abgeordneten in die Wahl, geht man mit nur noch 96 aus ihr hervor. Das war anders geplant.
Zugegeben: die 2017 wenige Wochen vor der damaligen Unterhauswahl gegründete KDP hatte vor Sonntag nur 109 Abgeordnete, weil zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter anderer Parteien zu ihr übergelaufen waren. Somit könnte man sagen, dass sich die KDP nun zumindest als stärkste Oppositionspartei etabliert haben könnte.
Fazit:
Das kann und sollte die Partei nicht daran hindern, ihre Führungfiguren zu überdenken. Der Parteivorsitzende Edano Yukio hat die Partei zwar inhaltlich profiliert und klar von der LDP abgegrenzt - sein Stuhl dürfte im Moment dennoch wackeln. Dass die KDP trotz der großen Unzufriedenheit mit der Regierung so sehr stagniert, bezeugt das in der Fläche begrenzte Wählerpotenzial der Partei; es reicht halt nicht, nur von urbanen Eliten gewählt zu werden. Vor allem auch dann, wenn man in der zweitgrößten Stadt Japans noch nicht einmal die wichtigste Oppositionspartei war.
Die anderen Parteien
Denn in Osaka dominierte die rechtspopulistische Regionalpartei Nippon Ishin no Kai. Diese kommt im Unterhaus jetzt auf 41 Sitze (+30), hat ihre Abgeordnetenzahl gerade auch durch die Zweitstimmen vor Ort praktisch vervierfacht. Zudem hat sie der LDP einige Direktmandate abgeluchst. Das ist ein Erfolg, aber ein begrenzter: außerhalb Osakas ist die Partei weiterhin keine ernsthafte Alternative für die meisten Wählenden.
Überraschend dazugewonnen hat auch die rechtszentristische Demokratische Partei fürs Volk (DVP), die sich von 8 auf 11 Sitze verbessern konnte. Leichte Verluste musste die Kommunistische Partei mit ihren nun 10 Sitzen (-2) verkraften, ein Direktmandat in Okinawa konnte man halten. Angesichts der Tatsache, dass man zugunsten der KDP weniger Kandidaten ins Rennen schickte, ist das ein Achtungserfolg. Genützt hat diese Zurückhaltung der Opposition insgesamt aber nicht.
Vor der kompletten Bedeutungslosigkeit gerettet haben sich die Sozialdemokraten, sie behalten zumindest ein Mandat. Die linke Inklusionspartei Reiwa konnte überraschend ganze 3 Listenplätze ergattern. 10 Parteilose haben es ebenfalls ins Parlament geschafft, sodass sich folgendes Endergebnis ergibt:
Für Interessierte: unter dem Hashtag #japandecides2021 finden sich auf Twitter zahlreiche weitere Analysen unterschiedlicher Accounts auf Englisch.
Wie es weitergehen wird, besprechen wir am Freitag in der nächsten regulären Ausgabe. Falls die heutige Ausgabe hilfreich war, dann reicht sie gerne an alle Interessierten weiter. Ein Gratis-Abo dieses wöchentlichen Angebots gibt es hier:
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