Ausblick 2022/23: Seoul und Tokyo auf gemeinsamem Kurs?
Über die Reise von Aso Taro nach Südkorea und ungeklärte historische Fragen.
Willkommen zurück. In dieser Woche trafen sich die G20 auf Bali, Südkorea startet eine futuristische Kooperation mit Saudi-Arabien und Xi Jinping hatte eine verbale Auseinandersetzung mit Justin Trudeau. Aber darum soll es dieses Mal nicht gehen. Stattdessen betrachten wir ein mögliches neues Kapitel in den schwierigen Beziehungen zwischen Japan und Südkorea.
Ein alter Hase auf großer Reise: Asos Mission in Südkorea
Für heikle diplomatische Angelegenheiten schickt man normalerweise erfahrene, bedächtige Persönlichkeiten, die vor allem eine vermittelnde Rolle einnehmen können. Dass Japans Regierung sich ausgerechnet dazu entschied, Ex-Premier Aso Taro zu delikaten Verhandlungen nach Südkorea zu schicken, war da auf den ersten Blick keine besonders kluge Entscheidung.
Aso, bekannt für die schwerste Wahlniederlage der LDP seit ihrer Gründung und auch auf dem internationalen Parkett bekannt als “Fauxpas-Maschine”, sollte die Grundlage für neue Abkommen mit Südkorea legen, um die Entschädigung von Opfern japanischer Kriegsverbrechen und speziell von Zwangsarbeitenden in japanischen Unternehmen neu zu regeln. Die Tatsache, dass seine Familie auch durch koreanische Zwangsarbeit ein großes Vermögen anhäufen konnte, dürfte ebenfalls gegen seine vermittelnde Rolle gesprochen haben.
Das Thema der Zwangsarbeit ist in den letzten Jahren in beiden Ländern ein Politikum geblieben. Japan beruft sich darauf, mit dem bilateralen „Grundlagenvertrag zwischen Japan und der Republik Korea“ von 1965 alle finanziellen Entschädigungsforderungen beigelegt zu haben. Der Grundlagenvertrag regelt vor allem auch, dass keine weiteren Entschädigungsforderungen an den japanischen Staat oder an Personen gestellt werden können. Gängigen Auslegungen des Völkerrechts folgend bedeutet dies auch, dass mit „Personen“ juristische Personen wie Unternehmen gemeint sind. Auch wenn über die moralische Verantwortung diskutiert werden kann, sind also weder Japan noch japanische Unternehmen juristisch zur Zahlung weiterer Entschädigungen verpflichtet.
Den klaren Vorgaben des Völkerrechts folgte hingegen der Oberste Gerichtshof Südkoreas im Jahre 2018 nicht, als er entschied, dass japanische Unternehmen weiterhin zur Zahlung von Entschädigung für Zwangsarbeitende verpflichtet ist. Die Richterbank hielt fest, dass der Vertrag über die japanische Annexion Koreas aus dem Jahre 1910 unter der Verfassung von 1948 nichtig sei. Abgesehen von der eigenwilligen Auslegung des Völkerrechts ist auch diese Begründung des Obersten Gerichtshofes problematisch: Schließlich würde hier die Verfassung als Grundlage dazu dienen, rückwirkend – also ex post facto – ein Gesetz für nichtig zu erklären. Abgesehen von den Problemen der kolonialistischen Besatzung widerspricht das grundlegenden rechtstaatlichen Rahmenbedingungen.
Abgesehen von den eindeutigen rechtlichen Überlegungen sind die verhärteten Positionen Tokyos und Seouls in den letzten Jahren zu einer beinahe unüberwindbaren Hürde bei der Kooperation der beiden Staaten geworden. Gerade unter dem ehemaligen südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in wurden geschlossene Abkommen über die Entschädigung der sogenannten „Trostfrauen“ aufgekündigt und die oben erläuterte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs beinahe mit Jubelstürmen begleitet. Ob die Rhetorik der südkoreanischen Regierung dabei den Überlebenden geholfen hat, dürfte durchaus angezweifelt werden.
Moons konservativer Amtsnachfolger Yoon Seok-yeol tritt bisher deutlich pragmatischer auf. Das hat sicherlich auch innenpolitische Gründe. Yoons Regierung, seit knapp einem halben Jahr im Amt, musste bereits mehrere Großkrisen begleiten, von den katastrophalen Überschwemmungen der Metropolregion Seoul im August bis hin zur Massenpanik während der Halloween-Feierlichkeiten in Itaewon, bei der hunderte Menschen wahrscheinlich aufgrund schlecht vorbereiteter Einsatzkräfte und Behörden ums Leben kamen oder verletzt wurden. Auch Yoons sonstiges Auftreten ruft dieser Tage bei der Bevölkerung in Südkorea vor allem Spott hervor.
Japans Premierminister Kishida Fumio wiederum sieht sich ebenfalls mit zahlreichen innenpolitischen Herausforderungen konfrontiert. Schlechte Umfragewerte, die fortdauernden Kontroversen um das Staatsbegräbnis für den ermordeten Ex-Premier Abe Shinzo sowie die Diskussionen um den politischen Einfluss der so genannten Unification Church haben den noch im Sommer souverän strahlenden Regierungschef in die Enge gedrängt.
Für beide Seiten käme ein diplomatischer Durchbruch also durchaus zur rechten Zeit. Und abseits der historischen Verwerfungen verbindet beide Staaten eine Menge gemeinsamer Ziele auf dem internationalen Parkett. So scheint Südkorea bereit zu sein, seine zurückhaltende Rolle gegenüber China langfristig aufzugeben, wenn eine Aufnahme in die von den USA, Japan, Indien und Australien gegründete Quad-Gruppe (Arbeitstitel der vergrößerten Runde: Quad Plus) winken würde. Das aggressivere Auftreten Pekings bereitet auch der Regierung in Seoul immer größere Sorgen.
Zudem hat die Biden-Regierung – etwa durch das trilaterale Treffen zwischen Biden, Yoon und Kishida am Rande des ASEAN-Gipfels in Phnom Penh vor wenigen Tagen – deutlich gemacht, dass die USA einer Annäherung seiner beiden engsten Verbündeten in Asien große Bedeutung beimisst.
Somit bleibt zu abzuwarten, ob der Besuch Asos, der trotz seiner vielen Aussetzer als Vorsitzender einer LDP-Faktion im Unterhaus und als enger Vertrauter von Premier Kishida hohes Ansehen in der Regierung genießt, ein weiterer Schritt auf dem Weg der Entspannung zwischen Seoul und Tokyo sein könnte.
Soweit war es das für dieses Mal. Kommentare, Themenvorschläge oder Kritik? Immer gerne per E-Mail an ausblickost [at] gmail . com oder über Twitter. Dieser Newsletter darf auch gerne an Interessierte weiterempfohlen werden. Bis zum kommenden Freitag und Wohlan!