Ausblick 2022/18: Heißer Herbst in Ostasien?
Die Rückkehr nach einem politisch turbulenten Sommer. Eine Bilanz.
Willkommen zurück. Viele Dinge haben sich diesen Sommer im Indopazifik ereignet, weshalb wir an dieser Stelle noch einmal einen kurzen Rückblick wagen sollten. Dass sich ausgerechnet diesen Sommer die vierte Taiwan-Krise, das tödliche Attentat auf den prägendsten Politiker Japans in der Nachkriegszeit und die beinahe vollständige Implosion der neuen konservativen Regierung Südkoreas innerhalb der ersten hundert Tage im Amt gemeinsam ereignen sollten, hätte so wohl auch niemand vorhergesehen. Auf geht’s.
China — Vor dem Kongress und nach der Krise
Auch, wenn die spektakulären Lockdowns in Millionenmetropolen wie Shanghai, Chengdu und Shenzhen sowie die militärischen Muskelspiele der Volksbefreiungsarmee rund um Taiwan zum Besuch Nancy Pelosis in den vergangenen Wochen und Monaten einen Großteil der Aufmerksamkeit der China-Berichterstattung eingenommen haben: alles läuft in der Volksrepublik in diesem Jahr auf den 20. Kongress der KPCh Mitte Oktober hin.
Der Kongress wird von der sicheren Wiederwahl Xis zum Generalsekretär und damit auch zum Staatsoberhaupt dominiert. Die Wiederwahl wird zwei konkrete Tabus brechen müssen, welche die Volksrepublik seit den Reformjahren unter Deng Xiaoping bestimmt haben:
Kein Generalsekretär der KPCh darf mehr als zwei Amtszeiten an der Spitze bleiben
Kein politischer Führer der KPCh darf über 68 Jahre alt sein
Xi wird diese beiden Regeln dieses Jahr brechen. Das ist ein weiteres Zeichen, dass sich die Partei weiter von der Reformzeit nach der Kulturrevolution wegbewegen möchte.
Auch wenn die Wiederwahl als sicher gilt: diese Regel-Verstöße sind auch in der Partei nicht gänzlich unumstritten. Zwar hat Xi einen Großteil der Macht über den Staatsapparat und die Volksbefreiungsarmee auf sich und enge Vertraute konzentriert. Dass China aber diesen Sommer äußerst aggressiv die eigenen Ansprüche über Taiwan demonstriert hat und umstrittene Entscheidungen wie die fortdauernde Zero Covid-Strategie mit aller Macht verteidigt werden, könnte auf eine gewisse Überempfindlichkeit in der politischen Elite hindeuten.
Jedoch muss festgehalten werden, dass es keine aktiven Umsturzpläne oder auch nur Wettbewerber geben könnte, die die Ablösung von Xi im Sinn hätten. Es kursierten in den letzten Wochen Gerüchte, wonach der amtierende Premierminister Li Keqiang, der im Gegensatz zu Xi nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit dieses Jahr nicht erneut antreten wird, Ambitionen auf den Chefsessel hätte. Diese Gerüchte scheinen jedoch ohne Substanz zu sein.
Außenpolitisch bleibt zu erkennen, dass China seine militärische Kooperation mit den Salomon-Inseln ausgebaut hat: der Pazifikstaat hatte Mitte August einem Schiff der US Navy und einem Schiff der britischen Royal Navy keine Möglichkeiten zum Auftanken gegeben und so das Anlegen im Hafen unmöglich gemacht. Dies könnte eine weitere Annäherung an China darstellen: mit der Volksrepublik hatte der Inselstaat jüngst ein auch innenpolitisch höchst umstrittenes Sicherheitsabkommen abgeschlossen.
Außerdem hat China die Annäherung an Russland auch sechs Monate nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine nicht eingeschränkt. Gerade nahm die Volksbefreiungsarmee an Bündnisübungen im russischen Fernen Osten teil. Auch war eine hochrangige Delegation aus Peking diese Woche beim siebten “Östlichen Wirtschaftsforum” in der russischen Stadt Wladiwostok vertreten.
Japan — LDP-Momentum am Ende
Die Ermordung von Ex-Premier Abe Shinzo hatte Anfang Juli für ein politisches Erdbeben in Tokyo gesorgt. Das Ereignis bescherte der regierenden LDP zwar eine Mehrheit bei den zwei Tage später abgehaltenen Oberhauswahlen. Jedoch bereiten dem amtierenden Premierminister Kishida zwei Entwicklungen derzeit Sorgen: Die Inflation und die wachsende Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit für die sogenannten Moon-Sekte.
Wie der Ökonom Richard Katz bemerkt, ist die Inflation, die Japan derzeit erlebt, zu unterscheiden von der Inflation in westlichen Ländern. Zum einen ist die Inflation in Japan deutlich niedriger; zum anderen betrifft sie vor allem Lebensmittel- und Energieimporte. Diese unterliegen deutlich stärkeren Marktschwankungen als zum Beispiel Waren, die im Land selbst produziert und konsumiert werden. Wenn man Importe abzieht, bleibt der Wert der Kerninflation zurück, auf den sich Zentralbanken gerne beziehen, da hier langfristige Entwicklungen besser abzulesen sind. Wenn man dies in Japan macht und langfristig plant, ist praktisch keine Inflation für die kommenden Jahre zu erwarten. Dennoch ist der Preisanstieg bei den Importen derzeit für die Bevölkerung kurzfristig zu spüren und verschärft die Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement der Kishida-Regierung.
Gleichzeitig sind die erstaunlich engen Verbindungen führender Politikerinnen und Politiker zur Moon-Sekte bekannt geworden. Die religiöse Vereinigung, offiziell als Unification Church benannt, hat über Jahrzehnte enge Beziehungen vor allem zur LDP aufgebaut. Auch Abe Shinzo und vor allem sein Großvater, der ehemalige Premierminister Kishi Nobusuke, konnten auf die engen Verbindungen und vor allem auf die Wählerstimmen der einflussreichen Organisation zählen. Dass Abe im Juli vom Sohn einer Frau getötet wurde, die der Moon-Sekte offenbar große Geldsummen übereignet und somit ihre eigene Familie in den finanziellen Ruin getrieben haben soll, unterstreicht die Brisanz der Verstrickungen zwischen der Organisation und den höheren Regierungsebenen. Es muss zwar betont werden, dass nicht nur LDP-Politikerinnen solche Verbindungen aufweisen. Jedoch sind diese Verbindungen deutlich enger als etwa bei der größten Oppositionspartei KDP, vor allem auch, weil die LDP fast ohne Unterbrechung die Regierungen der letzten Jahrzehnte angeführt hat.
Und so verwundert es auch kaum, dass der Schock über die Ermordung Abes bei vielen Menschen inzwischen in Unverständnis und Ablehnung umgeschlagen ist. Die vorschnelle Entscheidung Kishidas, Abe ein Staatsbegräbnis – eine wirklich seltene Ehre – zuteil werden zu lassen, sorgte ebenso für Verärgerung.
Um gegenzusteuern, hat Kishida zudem im August sein Kabinett umgebildet. Einige Politiker mit engen Verbindungen zur Unification Church sind aus dem Amt geschieden. Weiterhin sind viele enge Vertraute Abes aber im Kabinett vertreten, unter anderem Takaichi Sanae als Ministerin für Wirtschaftliche Sicherheit. Takaichi ist eine von zwei Frauen in dem Kabinett von 24 Personen. Sie und auch einige andere der neuen Minister hatten ebenfalls in der Vergangenheit Veranstaltungen der Sekte besucht oder andere Beziehungen zu ihr gehabt.
Südkorea — Ein konservativer Fehlstart
Ebenfalls in Schwierigkeiten ist die Regierung in Seoul geraten. Präsident Yun Seok-yeol, der gerade erst seine ersten 100 Tage im Amt hinter sich bringen konnte, ist wie kaum ein Staatsoberhaupt vor ihm rapide in den Meinungsumfragen abgestürzt. Seine Reaktion auf verheerende Überschwemmungen in der Hauptstadtregion im August wurde von vielen Menschen als gefühllos empfunden. Weiterhin scheint in der Regierung und der Präsidentenpartei (People’s Power Party) das Chaos vorzuherrschen, nachdem aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen der Amtssitz des Präsidenten von Yun aus dem Blauen Haus ins bisherige Verteidigungsministerium verlegt wurde (es gibt Gerüchte, dass der abergläubische Yun sich in dem angeblich von Geistern heimgesuchten Haus nicht wohlgefühlt haben soll). Auch sind mehrere seiner Kandidaten für Regierungsposten nicht bestätigt worden. Und auch Yuns Ehefrau sorgte in den vergangenen Wochen wiederholt für Aufsehen, unter anderem weil sie an großflächiger Aktionmanipulation beteiligt gewesen sein soll.
Yun Seok-yeol hatte die Präsidentschaftswahl im April mit weniger als einem Prozentpunkt Vorsprung vor dem Kandidaten der linkszentristischen Demokratischen Partei, Lee Jae-myung, gewonnen. Lee wurde übrigens Ende August zum neuen Vorsitzenden der Demokraten gewählt.
Weiterhin spannend bleibt der Blick auf die Außenpolitik der Yun-Regierung: zwar erklärte der Präsident in einer Rede zu seinem 100. Amtstag, dass Seoul eine Annäherung an gleichgesinnte Demokratien wie Japan oder die USA suche. Gleichzeitig verweigerte Yun Nancy Pelosi, als diese nach ihrer kontroversen Taiwan-Reise auch Südkorea besuchte, ein persönliches Treffen. Dies wurde als Versuch der südkoreanischen Regierung gedeutet, Peking nicht zu sehr verstimmen zu wollen.
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