Ausblick 2022/12: Kommt, wir bauen uns eine eigene Dynastie
Ein Blick auf die philippinischen Präsidentschaftswahlen im Mai.
Willkommen in einer Woche, zu deren Beginn trotz südkoreanischer Medienproteste keine Grammys an BTS verliehen wurden, in der sich Chinas Staatsführung über Nancy Pelosis Reisepläne gen Taiwan aufregte und in der sich die Wirtschaftsmetropole Shanghai weiterhin im absoluten Corona-Lockdown befindet. Darum soll es dieses Mal aber gar nicht gehen. Stattdessen blicken wir Richtung Südosten und beleuchten den Stand der Dinge einen Monat vor den Präsidentschaftswahlen auf den Philippinen.
Dynastie und Demokratie - die Philippinen auf der Suche nach politischer Stabilität
Der Imagewandel einer einst verhassten politischen Dynastie, der Einfluss sozialer Medien und das nun anzutretende Erbe eines autoritär handelnden Amtsinhabers bestimmen die Suche nach dem neuen Staatsoberhaupt auf den Philippinen.
In ziemlich genau einem Monat findet die Präsidentschaftswahl auf den Philippinen statt. Inzwischen zeichnet sich ein Zweikampf zwischen Ferdinand Marcos Jr., Sohn des ehemaligen Militärdiktators, und der derzeitigen Vizepräsidentin Leni Robredo ab. Umfragen sehen Marcos zwar klar vorne, allerdings hat der Abstand sich anscheinend etwas verringert. Der Wahlkampf ist bisher vor allem von Problemen mit Falschmeldungen und Hassrede im Internet geprägt. Diese Botschaften sollen Untersuchungen zufolge vor allem dem Favoriten Marcos in die Hände spielen. Ähnlich wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro behauptet dieser immer wieder, Opfer von bösartigen und ideologischen Medienkampagnen zu sein.
Offensichtlich hat sich hier aber auch die jahrelange Social Media Strategie des Marcos-Clans bezahlt gemacht. Bereits 2019 hatte das philippinische Nachrichtenportal Rappler eine umfangreiche Analyse von Online-Aktivitäten anonymer Facebook-Pages und Webseiten zusammengestellt, die vor allem die Familie Marcos in ein gutes Licht rücken sollten. Nach dem Ende der Marcos-Diktatur Mitte der 1980er und Jahrzehnten demokratischer Regierungen scheint es in den letzten Jahren tatsächlich wieder überwiegend positive Konnotationen mit dem einst verbrannten Namen zu geben. Vor allem bei jüngeren Filipinos, die keine Erinnerung an die Zeiten der Diktatur und deren Gräueltaten haben, kommt der Kandidat Marcos überdurchschnittlich gut an. Laut der Kommunikationswissenschaftlerin Fatima Gaw von der Universität der Philippinen sind diese positiven Fehlinformationen in ihrer schieren Masse ein Grund dafür, warum viele Menschen Mitleid mit der reichlich übertriebenen Unterdrückungserzählung von Ferdinand Marcos Jr. haben.
Damit könnten nun sechs Jahre Marcos auf die turbulente und in Teilen blutige Amtszeit des jetzigen Präsidenten Rodrigo Duterte folgen. Duterte war 2016 mit einer extremen law and order–Rhetorik an die Macht gekommen und hatte gleich zu Beginn seiner Amtszeit eines seiner populärsten Ziele in die Tat umgesetzt: dem Konsum von Drogen mit starker Gewalt zu begegnen. So sollten Polizeieinheiten jeden erschießen, auf den oder die der Verdacht illegalen Drogenhandels fiel. Diese carte blanche für den Sicherheitsapparat resultierte in vermutlich Zehntausenden Toten auf den Straßen von Manila und anderer Großstädte. Oft wurden Menschen, die vermutlich nur Drogen konsumiert aber nicht verkauft hatten, ermordet aufgefunden.
Diese Operationen außerhalb jeglicher rechtsstaatlicher Rahmenbedingungen veranlassten schließlich den Internationalen Strafgerichtshof, Ermittlungen gegen den philippinischen Staat wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit in die Wege zu leiten. Oppositionelle Politikerinnen wie die weiterhin inhaftierte Duterte-Kritikerin und Senatorin Leila de Lima haben die Rache der Staatsführung zu spüren bekommen. Im vergangenen Jahr erhielt die Journalistin Maria Ressa zusammen mit dem Gründer der russischen Oppositionszeitung Novaya Gazeta, Dmitry Muratov, den Friedensnobelpreis für ihre journalistische Tätigkeit. Dass das norwegische Nobel-Kommittee die Arbeitsbedingungen für die Presse in den Philippinen offenbar für ebenso gefährdet ansah wie in Russland, spricht Bände über den Zustand der südostasiatischen Inseldemokratie.
Gleichzeitig ist zu betonen, dass die Drogenpolitik Dutertes überwiegend beliebt in der philippinischen Bevölkerung zu sein scheint. Auch die regelmäßigen Beleidigungen, die das Staatsoberhaupt des zutiefst christlichen Landes gegen die Institution der katholischen Kirche schleuderte, scheinen seiner Beliebtheit nicht nachhaltig geschadet zu haben.
Aufgrund ähnlicher politischer Instinkte und Ideen scheinen die Wählergruppen von Duterte 2016 und Marcos 2022 stark zu überlappen. Das könnte auch die derzeitigen Umfragewerte erklären, denen zufolge Marcos einen ähnlich großen Vorsprung vor der Konkurrenz wie Duterte vor sechs Jahren genießt.
Auch scheint die schleichende Erosion der Demokratie für die meisten Wählenden nicht im Mittelpunkt ihrer Entscheidung zu stehen. Stattdessen sehnen sich viele Menschen nach den Wirrungen der Corona-Pandemie und den wirtschaftlichen Zerwürfnissen zwischen China und den USA vor allem nach Stabilität und Kontinuität. Und wie der Economist jüngst feststellte, sehen viele Menschen in dem Land anscheinend das Fortleben politischer Dynastien ein Merkmal der Stabilität. Marcos fällt in diese Kategorie, so wie auch die meisten der demokratisch gewählten Präsidenten der letzten Jahrzehnte. In jüngster Zeit gab es nur einen klaren Ausreißer aus dieser Tradition – den jetzigen Präsidenten Rodrigo Duterte.
Aber auch der arbeitet an der Gründung einer eigenen politischen Dynastie. Da er nicht erneut zur Wahl antreten darf, ist stattdessen seine Tochter Sara auf dem besten Weg, zumindest Vizepräsidentin der Philippinen zu werden. Sie hatte ihren Vater bereits im Amt der Bürgermeisterin der Millionenstadt Davao im Süden des Landes beerbt. Sie hat zudem weiterhin eine – wenn auch nicht übermäßig wahrscheinliche – Chance, zum Staatsoberhaupt gewählt zu werden, falls Ferdinand Marcos Jr. aufgrund seiner Vorstrafe wegen fehlerhafter Steuererklärungen nicht zur Wahl zugelassen werden sollte.
Auch wenn das Rennen noch offen ist – den Philippinen stehen nach der möglichen Wahl von Marcos Jr. und Sara Duterte ab Mai eventuell weitere sechs Jahre demokratie- und menschenrechtsfeindlicher Politik bevor.
Weiterführend:
Wer die Wahl im Detail verfolgen möchte, sollte sich mit dem Angebot von Rappler vertraut machen. Die Nachrichtenseite wurde von der Nobel-Preisträgerin Maria Ressa mitgegründet und berichtet investigativ über aktuelle politische Ereignisse auf den Philippinen.
Leseempfehlungen der Woche
Wie man einen potenziellen Krieg zwischen den USA und China verhindert
Auch wenn Verfasser Kevin Rudd in diesem Text die leidige weil unausgegorene Theorie der Thukydides-Falle von Graham Allison zur Beschreibung der eskalierenden US-China-Beziehungen bemüht, lohnt sich die Lektüre dieses Guardian-Artikels. Rudd, ehemaliger australischer Premierminister und anerkannter China-Kenner, beschreibt hier, warum eine mögliche Konfrontation zwischen Peking und Washington durchaus verhindert werden kann. Der Text ist ein Auszug aus seinem neuen Buch The Avoidable War: The Dangers of a Catastrophic Conflict between the US and Xi Jinping’s China. Vielleicht folgt an dieser Stelle demnächst mal eine Rezension des Buches.
Indisches Parlament diskutiert über den Krieg in der Ukraine:
In seinem Newsletter übersetzt Manoj Kewalramani normalerweise die Artikel der chinesischen Staatszeitung People’s Daily ins Englische. In dieser Woche gab es aber eine Sonderausgabe über die Parlamentsdebatte des indischen Unterhauses zum russischen Ukraine-Krieg. Durchaus aufschlussreich, vor allem auch aufgrund der hier mehrfach thematisierten neutralen Haltung Neu-Delhis gegenüber Russland. Vielleicht die wichtigste Erkenntnis (meine Übersetzung):
Die meisten Abgeordneten schienen zu argumentieren, dass wir in eine neue geteilte Weltordnung eintreten, die neue Herausforderungen für die indische Außenpolitik mit sich bringen wird. Es besteht der klare Wunsch, dass Indien eine blockfreie Position und seine strategische Autonomie beibehält. Liest man jedoch zwischen den Zeilen, so erkennt man auch, dass sich die indische Politik im Laufe der Zeit strukturell in Richtung einer engeren Partnerschaft mit dem Westen verschoben hat. Es ist wichtig, dass niemand […] diese Verschiebung kritisiert hat.
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