2022/11: Familienstreit im Südpazifik
Was bewegt die Solomon-Inseln diplomatisch und militärisch Richtung China?
Willkommen zum Ende einer Woche, die mit der seelenruhigen japanischen Simultan-Übersetzung einer klatschenden Oscar-Ohrfeige begann, in der ein bilaterales Treffen zwischen Indien und der Volksrepublik China sehr unterschiedliche Interpretationen hervorrief und in der anscheinend immer weniger Menschen in Japan eine liberalere Nachnamenwahl für Verheiratete für wichtig ansehen.
Darum wird es heute nicht gehen. Stattdessen schauen wir auf die Solomon-Inseln, die immer mehr zu einer Art Mikrokosmos chinesischer Außenpolitik im Indopazifik werden. Außerdem gibt es ein paar Empfehlungen für den Monat April.
Warum die Solomon-Inseln näher an China rücken
In den vergangenen Jahren hat sich die politische Haltung des kleinen Inselstaats gegenüber Peking turbulent entwickelt. Auch wenn eine neue Sicherheitsallianz mit China viel über die Innenpolitik der Solomon-Inseln aussagt, sind doch die außenpolitischen Reaktionen ebenso beachtenswert. Der nähere Blick auf eine chinesische Blaupause für Sicherheitspolitik im Pazifik.
Vorgeschichte:
Im September 2019 haben die Solomon-Inseln ihre diplomatische Anerkennung von der Republik China (Taiwan) zur Volksrepublik China (Festland) gewechselt. Damit ist für Taipeh eine der letzten offiziellen diplomatischen Beziehungen aus dem Indopazifik weggefallen. Der Wechsel kam überraschend – und soll nicht nur durch die wachsenden wirtschaftlichen Verknüpfungen mit China, sondern vor allem auch durch dubiose Geldflüsse beeinflusst worden sein.
Zudem ist seit Jahren eine stark wachsende chinesische Diaspora nicht nur auf den Solomon-Inseln, sondern im Südpazifik allgemein zu beobachten. Die ansteigende chinesische Migration in die Region ist aber auch in reichen Ländern wie Australien äußerst präsent und inzwischen Teil hitziger politischer Auseinandersetzungen.
Doch zurück auf die Solomonen: Gegen den diplomatischen Wechsel hatte sich Derek Suidani, der anti-kommunistisch und zutiefst christlich gesinnte Gouverneur von Malaita, der größten und in weiten Teilen ärmsten Provinz des Archipels, heftig gewehrt. Er verbot chinesischen Diplomaten die Einreise nach Malaita und stellte sich unverkennbar hinter Taiwan. Aus Taipeh kamen dann auch umfangreiche Hilfslieferungen während der Corona-Pandemie - exklusiv für Malaita, nicht den Rest des Landes. Der Gouverneur der Provinz hat rückblickend die von Peking erzwungene Ein-China-Politik seines Landes von Beginn an effektiv untergraben.
Dieser chinesisch-taiwanische Konflikt um diplomatische Anerkennung ist nicht der einzige diplomatische „Stellvertreterkrieg“, den die beiden chinesischen Staaten sich im Indopazifik liefern. So eskalierte etwa ein festlicher Empfang in einem Hotel in Fiji im vergangenen Jahr so stark, dass taiwanische und chinesische Diplomaten sich bei einem Empfang eine physische Auseinandersetzung lieferten, nach der ein taiwanischer Beamter im Krankenhaus behandelt werden musste. Streitpunkt war ein Kuchen, dessen Glasur die Flagge Taiwans darstellte.
Letzten November schließlich brachen dann in Honiara, der Hauptstadt der Solomonen, gewalttätige Demonstrationen aus. Die Ausschreitungen sind Beobachtenden zufolge in Teilen auch auf den diplomatischen Wechsel hin zu China zu erklären. Vor allem die in den letzten Jahren stark gewachsenen chinesischen Siedlungen wurden zum Ziel der teilweise gewalttätigen Protestierenden, drei Menschen starben dabei. Eine von Australien geführte Mission sollte dann für Ruhe sorgen. Ein solches militärische Eingreifen von außerhalb war auf Grundlage eines 2017 abgeschlossenen Sicherheitsabkommens zwischen Australien und den Solomon-Inseln möglich.
Was jetzt passiert ist
Diese Woche kam dann eine Ankündigung, die im Indopazifik und vor allem in Canberra für erhöhte Nervosität sorgte: die Regierung der Solomon-Inseln hat ein weiteres „Sicherheitsabkommen“ mit der Volksrepublik China angekündigt, auch als Reaktion auf die Proteste des vergangenen Jahres. Der Abschluss soll einigen Beobachtern zufolge vor allem auf chinesischen Druck hin geschehen sein. Der Schutz der wachsenden chinesischen Minderheit, die letztes Jahr angegriffen wurde, steht dabei für Peking anscheinend im Vordergrund. Auch der Bau einer chinesischen Militärbasis scheint beschlossen zu sein.
Der Haussegen hängt schief
Diese Entwicklungen in dem kleinen Inselstaat riefen prompt die beiden „Regionalmächte“ Australien und Neuseeland auf den Plan, für die die nahe gelegenen Inselstaaten als Teil der eigenen Einflusssphäre gelten müssen. Man gab sich in Wellington und Canberra „besorgt“ über die Entscheidung der Solomon-Inseln. Aus Australien war außerdem zu hören, China habe die Solomonen “gekauft”. Die “pazifische Familie”, die von Australien seit der Biketawa-Erklärung Ende der 1990er gerne beschworen wird, hat also einen handfesten internen Streit über den Umgang mit China.
Insgesamt muss jedoch ebenfalls beachtet werden: der China-Faktor auf den Solomon-Inseln zeigt auch innenpolitische Bruchlinien auf. Die Zentralregierung steht vor allem dem Gouverneur der größten Provinz entgegen. Nicht zu Unrecht kann darauf hingewiesen werden, dass Taiwan sich die fortdauernde diplomatische Anerkennung von Kleinststaaten in den letzten Jahrzehnten teuer erkauft hat mit sogenannten “Scheckbuch-Diplomatie”. Das kann nun trotz aller Sympathien fürs demokratisch regierte Taiwan nicht wirklich als gutes Beispiel im Bereich governance gelten, da diese finanziellen Zuwendungen meistens in die Taschen von Regierungsbeamten und Politikerinnen flossen. China füllt durch die Bestechung wohlgesinnter Politikerinnen und Politiker allerdings weitgehend die gleiche Nische aus.
Chinas Forderungen jetzt schwarz auf weiß
Egal, wie unangenehm man den wachsenden chinesischen Einfluss im eigenen “Hinterhof” auch finden mag: das nun angekündigte Sicherheitsabkommen wird die chinesischen Forderungen schwarz auf weiß enthalten. Viele Experten sehen es als eine Art “Wunschliste” Pekings. Vielleicht bietet dieser öffentliche Einblick eine bessere Chance für Australien und andere Anrainerstaaten, um mehr über die Motivationen Pekings bezüglich der eigenen Expansion zu verstehen.
Weiterführend:
Der Artikel “Solomon Islands’ Foreign Policy Dilemma and the Switch from Taiwan to China” aus dem Buch The China Alternative (frei zugänglich)
Monatslese April 2022
Leider hatte ich diese Rubrik lange nicht mehr eingebaut. An dieser Stelle sollen nun wieder regelmäßig spannende Bücher, Filme, Serien und Artikel über die weite Region des Indopazifiks vorgestellt werden. Ideen bitte auch gerne per Email an mich.
Pachinko
Der Roman von Min Jin Lee ist schon lange einer meiner absoluten Lieblingsromane (hier meine Rezension dazu aus dem vergangenen Jahr). Die koreanisch-amerikanische Autorin hat durch jahrzehntelange Recherche in Korea, Japan und den Vereinigten Staaten Material für die generationenübergreifende Geschichte einer Familie koreanischer Einwanderer, die in Japan oft auch als Zainichi bezeichnet werden, abgebildet. Mit Empathie, genauer Beobachtung und komplexen historischen Zusammenhängen eine hervorragende Gelegenheit, die Spannungen der beiden Nationen über das vergangene Jahrhundert besser zu verstehen. Bei Apple TV+ ist vergangene Woche die achtteilige Fernsehserie basierend auf dem Roman erschienen. Bisher habe ich nur die erste Folge gesehen, aber es lohnt sich meiner Meinung nach. Vor allem auch der konstante Sprachwechsel zwischen Koreanisch, Japanisch und Englisch macht die Geschichte lebendig.
Taiwans eigenes Atomwaffenprogramm
Die Wendungen des Kalten Krieges gingen an der Region Ostasien nicht spurlos vorrüber. Auch das durch eine Militärdiktatur regierte Taiwan wollte in dieser Zeit Atomwaffen entwickeln und zur Abschreckung nutzen. Mehr zu den Details in der folgenden Folge vom Geschichts-Podcast Formosa Files:
Weitere Buchempfehlungen aus dem vergangenen Monat:
India and the Cold War von Manu Baghavan - von mir genutzt als Referenz in den vergangenen Wochen, um die Haltung Indiens gegenüber dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu erklären.
The Sorrow of War von Bao Ninh - Ein Roman aus dem Vietnamkrieg, der ganz oben auf meinem Tsundoku-Stapel liegt. Diesen Monat wird das Buch übrigens auch im Buchclub bei connectingAsia besprochen. (Eine Rezension des Romans folgt in diesem Newsletter später im April)
China’s Civilian Army von Peter Martin - Ein genauerer Blick auf die Geschichte des chinesischen diplomatischen Dienstes bis heute, mit Erklärungen für die aggressive Wolf Warrior Diplomacy dieser Tage. Bemerkenswert und wichtig, weil gerne nur auf die militärische, nicht aber die diplomatische Komponente chinesischer Außenpolitik geachtet wird. Spannendstes Detail: Im Ausland operieren Diplomaten aus der Volksrepublik China im sogenannten buddy system. Niemand darf alleine irgendwo hingehen. Das verhindert auf der einen Seite Spionage - auf der anderen Seite können romantische Dates mit ausländischen Personen da schon mal sehr unorthodox ausfallen.
Und zum Schluss…
das vielleicht furchterregendste Maskottchen der Welt.
Das wars für heute. Kommentare oder Kritik? Immer gerne per E-Mail an ausblickost [at] gmail . com oder über Twitter. Dieser Newsletter darf auch gerne an Interessierte weiterempfohlen werden. Bis zum kommenden Freitag und Wohlan!