2021/Woche 37: Mittelschüler der Welt, vereinigt Euch!
Einblicke in die internen Wahlen zum KDP-Vorsitz in Japan. Und: Der Ampel-Koalitionsvertrag beschäftigt sich ausführlich mit China und dem Indopazifik.
In eigener Sache:
Diesen Montag habe ich im Frühgespräch bei detektor.fm mit Hans Von der Burchard von Politico Europe über die europäische Europapolitik nach der Ära Merkel gesprochen. Grund dafür war das Reuters-Interview von letzter Woche, in welchem die Kanzlerin eine anfängliche Naivität gegenüber China eingestanden hatte.
Über 12 Minuten ging es in dem Gespräch unter anderem um Handelsbeziehungen, um Menschenrechtsfragen sowie um den Streit zwischen Litauen und der Volksrepublik China über die Beziehungen zu Taiwan. Auch die Erwartungen in Europa an die Ampel-Koalition in Berlin werden thematisiert. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lag der Koalitionsvertrag noch nicht vor. Die ganze Unterhaltung gibt es hier direkt zum Anhören:
“Reden wir über die Jugend”: Kann die KDP sich neu aufstellen?
Vox Populi, die bekannte Kolumne der Tageszeitung japanischen Asahi Shimbun, fasste die Suche der oppositionellen Konstitutionell-Demokratischen Partei (KDP) nach einem neuen Vorsitzenden diese Woche folgendermaßen zusammen: Kein Feuerwerk, kein Streit, große Einigkeit. Und das sei auch gut so.
Die KDP hielt vor der Unterhauswahl Ende Oktober eine Reihe von Trümpfen in der Hand: Unbeliebtheit der alten LDP-Regierung von Suga Yoshihide, geringe Zustimmung für den neuen LDP-Premierminister Kishida Fumio, ein vernünftig aussehendes Wahlbündnis mit einigen kleineren politischen Parteien im linken Spektrum.
Genau über jenes Wahlbündnis gibt es nun allerdings einheitliche Kritik der vier Vorsitz-Kandidatinnen. Es sei ein Fehler gewesen, gerade mit der Kommunistischen Partei (KPJ) Absprachen über Wahlstrategien zu treffen. Das habe nicht nur viele zentristische Wähler abgeschreckt – es widerspreche auch den eigenen politischen Zielen. Tatsächlich gehen die Vorstellungen der Mitte-Links-Partei KDP und der Kommunisten gerade in Fragen nationaler Sicherheit aber auch bei der Umverteilung des Vermögens weit auseinander. Die wichtigste zivilgesellschaftliche Unterstützerorganisation der KDP, der Gewerkschaftsdachverband Rengo, steht mit den Kommunisten zudem auf Kriegsfuß.
Die drei Männer und eine Frau, die nun die Nachfolge des erfolglosen Edano Yukio als KDP-Chef antreten wollen, treten seit Tagen bei Debatten und Podiumsdiskussionen gemeinsam auf – und sie geben sich betont harmonisch. Tatsächlich gibt es inhaltlich nur geringe Unterschiede. Alle sind eifrig bemüht, Fehler der Vergangenheit aufzuzeigen. Von konkreten Ideen für die Zukunft war weniger die Rede. Zudem sind alle vier, teilweise über Umwege, von der vor Jahren untergegangenen Demokratischen Partei (DPJ) in der Nachfolgepartei KDP gelandet.
Im Rennen befinden sich:
Osaka Seiji: Schon in der DPJ in hohen Ämtern und auch in der kurzen Regierungszeit der Partei zwischen 2009 und 2012 in der Regierung vertreten. Er war Vize-Generalsekretär der KDP sowie der politstrategische Chef der Partei. Er vertritt als Abgeordneter den 8. Wahlbezirk in Hokkaido.
Ogawa Junya: Ein ehemaliger Vizeminister, vertritt im Unterhaus den 1. Wahlbezirk der Präfektur Kagawa auf der südlichen Insel Shikoku.
Izumi Kenta: Der derzeitige Strategie-Chef der KDP und Abgeordnete für Kyotos 3. Wahlbezirk im Unterhaus.
Nishimura Chinami: Abgeordnete aus dem 1. Wahlbezirk der nordwestlichen Präfektur Niigata. Sie war Vize-Gesundheitsministerin unter dem demokratischen Premierminister Noda ab 2011 und hat zudem ab 2009 in der Außenpolitik der DPJ-Regierung mitgemischt.
Bei den Diskussionen im Presseclub und auch online diese Woche wurde von allen vier Kandidatinnen gemahnt, man müsse die Jugend mehr in die Politik einbinden. Kandidat Ogawa etwa sagte, dass viele Japaner unter 20 und unter 30 mit dem Gefühl aufgewachsen seien, dass die Zukunft schlimmer werde als die Gegenwart. Da müsse man ansetzen. Ein wenig bizarr war dann die Aussage seines Konkurrenten Izumi zum Umgang mit nachwachsenden Wählerschichten: Er rede regelmäßig mit Mittelschülern in seinem Wahlbezirk. Die würden ihn alle bereits kennen.
Izumi und die anderen Bewerber müssen nun aber nicht nur den Mittelschülern, sondern auch der breiteren Bevölkerung verständlich machen, warum sie eine ernsthafte Alternative zum Premierminister-Wahlverein LDP darstellen könnten: alle vier sind keine neuen Gesichter, ihre bisherige Wählerschaft speist sich weitgehend aus der urban-liberalen Konkursmasse der alten DPJ.
Die DPJ gewann 2009 die Unterhauswahl haushoch gegen die LDP. Dies gelang durch umfangreiche Wahlversprechen, die beinahe jeder nur erdenklichen Bevölkerungsgruppe Unterstützung vom Staat versprachen. Diese Versprechen waren auf Sand gebaut und ideologisch inkohärent. Die KDP müsste nun zeigen, dass sie tatsächlich einen Plan zum Regieren hat und dadurch eine Idee von einem besseren Japan entwerfen kann. Diese Idee sollte dann auch nicht beim ersten Windhauch wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen.
Und man müsste die Infrastruktur der KDP gerade abseits der großen Städte und Ballungszentren erhöhen beziehungsweise diese erst einmal aufbauen. Und die Opposition müsste man für einen Wahlerfolg auch noch irgendwie strategisch vereinen. Es wird nicht einfach.
Noch ist schwer abzusehen, welcher der Kandidaten die besten Chancen hat. Bei der parteiinternen Wahl dürfen Abgeordnete beider Kammern des Parlaments, regionale Abgeordnete und Parteimitglieder auf allen Ebenen abstimmen. Der Youtube-Channel von senkyo.com veröffentlichte diese Woche eine Analyse, wonach alle Kandidatinnen eine Reihe von KDP-Abgeordneten aus beiden Kammern hinter sich versammeln konnten. Ein Favorit oder eine Favoritin ist bisher noch nicht erkennbar, auch wenn Mittelschüler-Experte Izumi einen Hauch Vorsprung haben könnte. Vielleicht bräuchte man doch etwas mehr Feuerwerk.
Weiterführend: Die hervorragende Reihe “The Contenders” des Podcasts History of Japan über den Aufstieg und Fall der Demokratischen Partei liefert spannende historische Hintergründe, die die heutigen Probleme der KDP auch am Rande erklären.
Asien-Politik in Zeiten der Ampel – ein Blick in den Koalitionsvertrag
Hier der vollständige Koalitionsvertrag im Wortlaut.
Sowohl die FDP als auch die Grünen dürften für sich beanspruchen, Moskau und Peking gegenüber recht kritisch eingestellt zu sein. Für beide Parteien stehen in der Außenpolitik Menschenrechte und eine Verteidigung demokratischer Werte deutlich höher auf der Agenda als für die SPD oder die Union.
Ein Blick in den Mittwoch vorgestellten Koalitionsvertrag der Ampel verrät, dass sich die beiden Junior-Koalitionspartner hier thematisch durchgesetzt haben. Auch findet der Indopazifik relativ viel Platz im Kapitel zur Außenpolitik. Eine spannende Neuerung könnte es auch in der Kooperation mit Japan geben.
Erwähnt werden unter anderem die Begriffe China (12x), Indo-Pazifik (3x), Taiwan (2x), ASEAN (2x), Japan (2x), Südkorea (1x) sowie Hong Kong (1x).
Hier ein paar Schlüsselsätze (meine Hervorhebungen):
Zu China, Hong Kong, Taiwan:
Im akademischen Bereich und in der Forschung:
Asien- und China-Kompetenz wollen wir deutlich ausbauen.
Systemische Rivalität:
[…]
Wir wollen und müssen unsere Beziehungen mit China in den Dimensionen Partnerschaft, Wettbewerb und Systemrivalität gestalten.
[…]
Um in der systemischen Rivalität mit China unsere Werte und Interessen verwirklichen zu können, brauchen wir eine umfassende China-Strategie in Deutschland im Rahmen der gemeinsamen EU-China Politik.
Abstimmung mit den USA:
Wir streben eine enge transatlantische Abstimmung in der China-Politik an und suchen die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Ländern um strategische Abhängigkeiten zu reduzieren.
Menschenrechte und Demokratie:
Eine Veränderung des Status Quo in der Straße von Taiwan darf nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen. Im Rahmen der Ein-China-Politik der EU unterstützen wir die sachbezogene Teilnahme des demokratischen Taiwan in internationalen Organisationen. Wir thematisieren klar Chinas Menschenrechtsverletzungen, besonders in Xinjiang. Dem Prinzip „Ein Land – zwei Systeme“ in Hong Kong muss wieder Geltung verschafft werden.
Zum Indo-Pazifik:
Aufbauend auf den Indo-Pazifik-Strategien Deutschlands und der EU setzen wir uns für eine freie und offene indo-pazifische Region auf der Grundlage globaler Normen und des Völkerrechts ein. Insbesondere in den Bereichen Stärkung des Multilateralismus, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Klimaschutz, Handel und bei Digitalisierung wollen wir Fortschritte in der Kooperation erreichen.
Über die Beziehungen mit Japan und Südkorea:
Wir wollen den Ausbau unserer Beziehungen, inklusive auf parlamentarischer Ebene, mit wichtigen Wertepartnern wie Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea vorantreiben. Mit Japan wollen wir regelmäßige Regierungskonsultationen beginnen.
Regierungskonsultationen finden bisher nur mit wenigen ausgewählten Partnern und strategisch wichtigen Staaten regelmäßig statt. Das sind abgesehen von europäischen Partnern lange die USA, Israel, Russland, China, Indien und Brasilien gewesen. In Japan dürfte man sich freuen über die Pläne, da man sich in Tokyo auch mehr deutsches Engagement in der Region erwartet.
Das wars für heute. Kommentare oder Kritik? immer gerne per E-Mail an ausblickost [at] gmail . com oder über Twitter. Dieser Newsletter darf auch gerne an Interessierte weiterempfohlen werden. Bis zum kommenden Freitag und Wohlan!