2021/Woche 29: Das Establishment schlägt zurück
In welcher die LDP-Führung ihren Willen durchsetzt. Und: Reaktionen auf AUKUS
Mr. Status Quo: Kishida wird neuer LDP-Vorsitzender
Es war dann doch eindeutiger als gedacht: das Parteiestablishment innerhalb der LDP hat sich eindeutig durchgesetzt.
Kishida Fumio wird nun nicht nur Vorsitzender der LDP. Er wird nach den nun auszurufenden Unterhauswahlen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit japanischer Premierminister. Kono Taro, der bei einfachen LDP-Mitgliedern der klare Favorit war und auch beim weiteren Wahlvolk deutlich beliebter wäre, konnte den Widerstand der Parteiführung nicht durch breite Beliebtheit ausgleichen. Er hätte im ersten Wahlgang klar gegen Kishida gewinnen müssen oder sogar die Stichwahl verhindern müssen, um den Parteivorsitz ergattern zu können. Doch dann kam alles anders. (Eine Erklärung zum genauen Wahlverfahren findet sich im Newsletter der vergangenen Woche.)
1. Wahlgang: Kishida überraschend vorne
(50% Abgeordnete; 50% regionale Parteistimmen)
Es war kein großer Vorsprung, aber Kishida lag im Endeffekt eine Stimme vor Kono im ersten Durchgang. Die vier Kandidatinnen und Kandidaten und ihre Ergebnisse in der Übersicht:
Kishida Fumio: 146 Abgeordnete; 110 Parteistimmen aus den Präfekturen (gesamt 256)
Kono Taro: 86 Abgeordnete; 255 Parteistimmen (gesamt 255)
Takaichi Sanae: 114 Abgeordnete; 74 Parteistimmen (gesamt 188)
Noda Seiko: 34 Abgeordnete; 29 Parteistimmen (gesamt 63)
Für einen direkten Sieg im ersten Wahlgang wären insgesamt 383 Stimmen notwendig gewesen.
2. Wahlgang: Ksihida gewinnt Stichwahl gegen Kono
(über 90% Abgeordnete; Rest: 47 Präfekturstimmen)
Kishida Fumio: 249 Abgeordnete; 8 Präfekturstimmen (gesamt 257)
Kono Taro: 131 Abgeordnete; 39 Präfekturstimmen (gesamt 170)
Für einen Sieg waren hier 214 Stimmen erforderlich.
Erkennbar im zweiten Durchlauf: Fast alle Abgeordneten, die Takaichi zuvor präferiert haben, sind zu Kishida gewechselt; fast alle parlamentarischen Stimmen für Noda sind weiter zu Kono gewandert. Konos Beliebtheit in den Präfekturen war hier nicht mal ansatzweise ausschlaggebend. (Takaichi Sanae wird nach aktuellen Informationen von Asahi Shimbun unter Kishida folgerichtig ein wichtiges Parteiamt als Leiterin des sogenannten “Forschungsrats” bekleiden.)
Spannend ist hier auch der Stimmenanteil für die beiden Kandidatinnen Takaichi und Noda. Takaichi hatte die Unterstützung von Ex-Premier Abe Shinzo, der in seiner Parteifaktion weiterhin großen Rückhalt genießt. Dadurch erklärt sich auch, dass sie mehr Abgeordnete der LDP für sich gewinnen konnte als der Umfragenfavorit Kono. Noda, in ihren gemäßigten bis liberalen Ansichten fast deckungsgleich mit Kono, spielte derweil keine entscheidene Rolle. Ihre gesamten 63 Stimmen hätten Kono allein auch nicht zum Sieg verholfen. Die Stimmen der streng nationalistischen Takaichi wären für Kishida derweil ausreichend gewesen, um eine Stichwahl gegen Kono zu verhindern.
Fazit: Das Parteiestablishment hat den in der Gesamtpartei eindeutigen Favoriten Kono effektiv kaltgestellt. Das erfüllt auf der einen Seite zwar die Funktion, dass man einen möglichen Reformer als Premierminister verhindern konnte. Auf der anderen Seite zeigt sich hier eine gewisse elitäre Verachtung für die Demokratie. Es ist allen Beteiligten klar, dass aufgrund der politischen Situation in Japan Kishida nicht nur Spitzenkandidat der LDP bei der Unterhauswahl wird, sondern dass auch das Amt des Premierministers nach der Wahl bekleiden kann. Damit setzt sich ein Kandidat durch, der in der Bevölkerung, aber auch in großen Teilen seiner Partei keinen nennenswerten Zuspruch besitzt.
Vergeben ist damit auch die Chance, großflächige soziale und politische Reformen durchzuführen, die für Japan durchaus relevant wären. Zwar wird Kishida die vom scheidenden Premier Suga angestrebten Reformen (Stichwort „Digitalisierung der Verwaltung“) sicherlich weiterführen. Dagegen ist nun verhindert worden, dass außenpolitisch eine Annäherung an Südkorea erfolgen kann. Innenpolitisch werden Frauen weiterhin keine Chance haben, ihren ursprünglichen Familiennamen nach der Heirat zu behalten. Andere Reformen, die mit Sicht auf den demographischen Wandel zeitnah erfolgen müssen, dürften ebenso auf der Strecke bleiben.
Kishida war zwar ein trinkfester Außenminister, auch im Umgang mit Sergej Lawrow; er ist aber vor allem das, was die Financial Times bereits treffend festgestellt hat: Mr. Status Quo.
Mehr zur Unterhauswahl in Japan gibt es an dieser Stelle in den nächsten Wochen.
In Ausgabe 2021/Woche 26 dieses Newsletters gibt es ein kurzes Kishida-Porträt.
Zur Vertiefung: Reaktionen auf AUKUS
Mit Dank an die Schattenredaktion.
Mitte September vermeldeten die Regierungen in Washington, London und Canberra ein neues trilaterales Sicherheitsbündnis. AUKUS (Als Akronym aus den Anfangsbuchstaben der Mitgliedsstaaten) dient dem informationsdienstlichem Austausch, der Erhöhung der gemeinsamen militärischen Abschreckungsfähigkeit - und vor allem auch gegenüber Chinas.
Es mag ein wenig verwundern, dass die USA, das Vereinigte Königreich und Australien diesen Schritt ohne Absprache mit anderen Verbündeten in der Region oder anderen Staaten mit regionalen Interessen trafen. Schließlich existiert mit der Quad-Gruppe (USA, Japan, Indien, Australien) bereits ein Bündnis, das fast deckungsgleiche Sicherheitsinteressen vertritt.
Im Rahmen der Ankündigungen zu AUKUS wurde auch klar, dass Australien neue U-Boote mit amerikanischer Technik erwerben würde. Dafür wolle man auf ein bereits getroffenes Abkommen mit Frankreich verzichten. Schon 2016 hatte Canberra zugesagt, diesel-elektrische U-Boote aus dem europäischen Land zu kaufen. Nun setzt man wohl auf nuklearbetriebene U-Boote. In Paris gab man sich brüskiert, zog die eigenen Botschafter aus Washington und Canberra ab und setzt jetzt erst langsam wieder auf Deeskalation im Umgang mit den zwei eigentlich verbündeten Staaten.
Doch wie fielen die Reaktionen in der Region Indo-Pazifik aus?
Deutlich weniger militant als in Europa. Aber von offener Begeisterung kann auch hier keine Rede sein. Zwar sind einige Anrainerstaaten im Südchinesischen Meer durchaus froh, dass auch über die eigene Region hinaus das Interesse wächst, Chinas expansiven Gebietsansprüchen etwas entgegenzusetzen. Gleichzeitig ist man kaum bereit, sich klar zwischen den zwei Seiten - USA und China - zu entscheiden, da man mit beiden wirtschaftliche und politische Verbindungen aufrecht erhalten möchte.
Kurze Anmerkerung: Zu Chinas Reaktion gibt es nächste Woche noch einen ausführlicheren Beitrag. Da sich AUKUS vor allem gegen die Volksrepublik richtet, wird dazu noch mehr zusagen sein.
Malaysia
Eine Woche nach der Verkündigung von AUKUS hat Malaysias Verteidigungsminister Hishamuddin Hussein angekündigt, dass sein Land sich an China wenden werde um die Reaktion des mutmaßlichen Ziels der AUKUS-Kooperation besser einschätzen zu können. Man wolle eine Balance zwischen beiden Seiten schaffen.
Indonesien
Deutlich negativer fiel die Bewertung in Jakarta aus. Offiziell heißt es von der indonesischen Regierung, man sei “zutiefst besorgt über den fortschreitenden Rüstungswettlauf und die Machtdemonstrationen in der Region”.
Vietnam
Verhaltener hat man sich in Hanoi zu AUKUS geäußert. Auf Nachfrage zur neuen Sicherheitskooperation und dem damit verbundenen U-Boot Deal ließ das vietnamesische Außenministerium verlautbaren, dass regional und global “Frieden, Stabilität, Kooperation und Entwicklung” im Interesse aller Nationen seien und sie alle dazu beitragen müssten. Zu den von Australien geplanten nuklearbetriebenen U-Booten erklärte man, Kernenergie dürfe ausschließlich friedlich genutzt werden und der allgemeinen sozioökonomischen Entwicklung dienen.
Philippinen
Hier fiel die Bewertung positiver aus. In Manila verspricht man sich durch die neuen Kapazitäten Australiens einen besseren Ausgleich der Machtverhältnisse in der Region und unterstützt die australische Aufrüstung grundsätzlich.
Japan
Japans Position muss zumindest zweiteilig betrachtet werden. Offiziell gratulierte Außenminister Motegi seiner australischen Amtskollegin. Tatsächlich scheint man in Tokyo derzeit über jede Initiative von ideologisch verbündeten Staaten wie den USA oder der EU erfreut, die sich der drohenden Allmacht Pekings entgegenstellen kann.
Die Tatsache, dass die US-Regierung eine Aufnahme weiterer Staaten wie Indien oder Japan in das AUKUS-Sicherheitsbündnis kategorisch ausgeschlossen hat, wird von offizieller Seite nicht kommentiert. Da es sich bei den USA, Großbritannien und Australien aber um verbündete oder gleichgesinnte Staaten handelt, wird AUKUS auch nicht als Bedrohung, sondern allenfalls als randständige Ergänzung zum Quad-Format empfunden. Diese Haltung wurde mit Vertretern der US-Regierung am Rande der UN-Vollversammlung in New York offiziell untermauert.
Interessant ist hier eventuell auch eine weitere Tatsache, auf die weder von Motegi noch anderen Regierungsmitgliedern eingegangen wurde: der geplatzte französische U-Boot-Deal mit Australien. Der Grund könnte hier sein, dass auch Japan 2016 im Rennen war, U-Boote an Canberra zu verkaufen. Damals verlor man den Auftrag an Paris, weshalb sich das Mitgefühl für Frankreichs verletzten Stolz in Tokyo in Grenzen halten dürfte.
Südkorea
Ähnlich wie in Japan werden in Seoul grundsätzlich alle Schritte begrüßt, die Chinas Vormacht begrenzen könnten. Dennoch gibt man sich auch hier bedeckt, um keine Reaktionen des größeren Nachbarstaats hervorzurufen. Die Volksrepublik wird hier in der öffentlichen Wahrnehmung als gleich große oder größere Gefahr eingestuft als Nordkorea, auch wenn dies bisher noch nicht in der außenpolitischen Strategie Südkoreas reflektiert ist.
Fazit:
Zwar sind die Reaktionen der bedeutendsten Akteure im Indo-Pazifik bisher eher positiv ausgefallen. Es bleibt jedoch eine wichtige Aufgabe für Australien, seine südostasiatischen Nachbarn zu beruhigen und dem Bild eines aggressiven Rüstungswettstreits entgegenzuwirken. Die Wichtigkeit eines solchen Handelns mag in Australien nicht sofort ersichtlich sein, ist AUKUS doch überhaupt erst durch Chinas rasanter maritimer Aufrüstung und Militarisierung ermöglicht worden. Doch nicht in allen südostasiatischen Hauptstädten wird diese Sicht geteilt. Zumindest werden Positionierungszwänge dort wesentlich unangenehmer aufgefasst.
Auch die starke Zurückhaltung in der Reaktion Seouls und Tokyos auf AUKUS sollte nicht bagatellisiert werden. Sowohl die USA als auch andere Regionalmächte täten gut daran, in Zukunft die eigenen Alliierten weniger öffentlich vor den Kopf zu stoßen.
Heute aus Zeit- und Platzgründen keine weitere Meldungen.
Soweit war es das für diese Woche. Kommentare, Themenvorschläge oder Kritik? Immer gerne per E-Mail an ausblickost [at] gmail . com oder über Twitter. Dieser Newsletter darf auch gerne an Interessierte weiterempfohlen werden. Bei Paywall-Problemen in verlinkten Artikeln stehe ich gerne mit Hilfe bereit. Bis zum kommenden Freitag und Wohlan!