2021/Woche 25: Taipeh ist nicht Kabul
Besorgte Blicke gen Washington nach dem Afghanistan-Desaster. Außerdem: Die Volksbefreiungsarmee als Parteiarmee.
Diese Woche beleuchten wir die geoplitische Bedeutung von Amerikas Abzug aus Afghanistan für die Staaten des Indopazifiks, vor allem Taiwan. Danach gibt es eine kurze Analyse zu 100 Jahren Kommunistische Partei Chinas.
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Aktuell: Taiwans scheinbares Afghanistan-Dilemma
Der überstürzte Abzug der USA aus Afghanistan und die direkte Machtübernahme durch die Taliban haben Schockwellen durch die Welt gesendet. Vor allem die geostrategischen Konkurrenten in Moskau und Peking dürften sich dagegen über das kopflose Vorgehen Washingtons gefreut haben. Denn egal wie unterschiedlich die Kontexte auch sein mögen, in denen die USA im Ausland aktiv sind: wie kann man einem militärischen oder politischen Partner vertrauen, der praktisch nur auf die innenpolitische Stimmung achtet, gleichzeitig aber die Weltpolitik federführend gestalten möchte?
Im Kontext des Indo-Pazifiks dürfte die Bestürzung vor allem in Taiwan groß gewesen sein. Die Inseldemokratie ist wie kein anderes Land der Region auf den Schutz der USA angewiesen. Ohne diplomatische Anerkennung braucht Taipeh nämlich vor allem zwei Dinge: inoffizielle diplomatische Kanäle nach Washington und eigene bewaffnete Streitkräfte, die China abschrecken und so eine Invasion verhindern könnten.
Dass sich die außenpolitischen Winde in Washington um 180 Grad drehen können, ist nicht erst seit dem Afghanistan-Debakel bekannt. Die Tatsache, dass die Volksrepublik China in den 1970er Jahren diplomatische Anerkennung gefunden hatte und Taipeh jeglichen Status innerhalb der UN verlor, hat vor allem mit dem realpolitischen Kalkül der Nixon-Regierung und vor allem Henry Kissinger zu tun und wurde dann durch die Regierung Carter realisiert. Die Beendigung diplomatischer Verbindungen zwischen den USA und Taiwan überraschte auch andere Verbündete im Kalten Krieg, vor allem Japan.
Für Taiwan gibt es mehrere Strategien, um den wachsenden Drohungen aus Peking entgegenzutreten und sich nicht zu sehr auf die wankelmütigen USA verlassen zu müssen:
Engere inoffizielle diplomatische Beziehungen zu demokratischen Nachbarstaaten, vor allem Japan. Die Verbindungen nach Tokyo sind traditionell sehr eng. Japan sucht derzeit gerne nach neuen Wegen, um China zu provozieren. Da bezeichnen japanische Regierungsmitglieder den Inselstaat schon mal als in einem Halbsatz als “Land”. Denn man betrachtet die Sicherheit Taiwans als elementar für die eigene Sicherheit. Außerdem hat Japan, obwohl es keine offizielle Armee besitzen darf, militärische Technologie, von der man in Peking nur träumen kann. Vor allem Japans U-Bootflotte verursacht in Festlandchina regelrechte Angstzustände. Zwar hat Japan diese Technologie bisher noch nicht exportiert, aber Taipeh dürfte ganz oben auf der Liste möglicher Abnehmer stehen.
Ausbau gesellschaftlicher Beziehungen weltweit: Taiwan mag zwar über fast keine offiziellen diplomatischen Beziehungen verfügen. Dennoch hat man enge Verbindungen auf zivilgesellschaftlicher Ebene aufgebaut. Bürgerinnen aus Ländern, die geopolitische Streitigkeiten mit Peking austragen, sind zudem gewillt, ihre Unterstützung für Taiwan lautstark in sozialen Medien zu teilen. Die Bestrebungen der Milk Tea Alliance ist ein gutes Beispiel dafür, dass man auch in Nachbarländern starke Sympathien für die Inseldemokratie hegt. Taipeh wird diese Soft Power-Strategie fokussiert auf die Zivilbevölkerung sicherlich ausbauen. Denn wie ein altes Sprichwort sagt: Milch ist dicker als Blut.
Hoffen auf Europa: das ist zugegebenermaßen eher eine Wild Card. Doch alle sollten gespannt auf die Indopazifik-Strategie der EU warten, die im Herbst vorgestellt wird. Seit Jahren wird zudem zwischen Brüssel und Taipeh über ein bilaterales Handelsabkommen beraten. Es muss sich jetzt herausstellen, ob man ein solches Unterfangen auch in Europa ernst meint oder ob es nur als Verhandlungspunkt im Umgang mit Peking die Funktion eines Damoklesschwertes einnimmt.
Fazit: Die Situation in Afghanistan ist nur schwer mit der im Indopazifik zu vergleichen. Dennoch haben auch dortige Staaten mit Besorgnis den scheinbar plötzlichen Sinneswandel in Washington beobachtet und befürchten, dass die amerikanische Geopolitik weniger verlässlich sein könnte als bisher gedacht. Gleichzeitig haben Staaten wie Taiwan Alternativen und sollten sich in ihrer Militärstrategie nicht allein auf die USA verlassen. Die Lösung liegt manchmal vor der eigenen Haustür.
Zur Vertiefung: Die Volksbefreiungsarmee und ihre Bedeutung für die politische Führung Chinas
Dieser Text basiert auf Auszügen auf einem Beitrag, den ich für die aktuelle Publikation zum 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei Chinas für den Think Tank geschrieben habe. Den vollständigen Text mit Quellenangaben gibts hier.
Die Volksbefreiungsarmee (VBA) ist inzwischen Teil der Popkultur in Festlandchina. Das zeigen derzeitig erfolgreiche Fernsehserien wie “The Trumpeter is in Place”, welche das Leben junger Rekruten in einer Eliteeinheit beschreibt.
Das kommt der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) zu ihrem 100. Geburtstag durchaus gelegen, ist die Armee doch Teil der erweiterten Legitimationsstrategie der Staatsführung um Generalsekretär Xi Jinping.
Genau wie die KPCh ist die VBA deutlich älter als die Volksrepublik China. Bereits in den späten 20er und frühen 30er Jahren kämpfte man abwechselnd gegen die japanischen Kolonialtruppen oder gegen die verfeindeten Nationalisten unter Chiang Kai-shek. Im maoistischen Selbstverständnis wächst politische Macht ja schließlich auch aus dem Lauf einer Waffe. Dass man gegen die militärisch überlegenen Nationalisten gewinnen konnte, trug maßgeblich zur Mythenbildung bei.
Doch auch wenn die VBA vor allem der bewaffnete Arm der Kommunistischen Partei war, hat sich über die Jahrzehnte immer wieder gezeigt, dass die Institution über ein Eigenleben verfügt. Gerade während der Kulturrevolution stellte sich die Armee als wichtigste Verteidigerin gegen das durch die Rotgardisten verursachte Chaos heraus. Weiterhin war und ist die VBA wirtschaftlich tätig und verfügt über signifikante Einnahmequellen.
Über die Jahrzehnte wurde immer wieder diskutiert, ob die VBA von einer Armee der Partei zu einer Partei Chinas werden solle, also einer sogenannten “Nationalisierung” unterzogen werden müsse. Diese Diskussionen sind im letzten Jahrzehnt verstummt, was vor allem auch mit dem Persönlichkeitskult um den neuen Generalsekretär zu tun haben dürfte.
Denn auch am Militär ist die neue Xi-Ära nicht vorbeigegangen. Im Zuge der Korruptionsbekämpfung in den ersten Jahren nach Xis Amtsantritt mussten zahlreiche hohe Militärs abtreten oder wurden verhaftet. Zudem hat der neue Generalsekretär die Kommandostruktur gestrafft und auf sich zugeschnitten. Zahlreiche Mitglieder der Armee verdanken Xi einen raschen beruflichen Aufstieg, was ihre Loyalität zu ihm als Person erhöhen soll.
Für Xi ist die VBA ein wichtiger Baustein in seiner Zukunftsvision für China. Er denkt an eine professionellere Armee, die die geopolitischen Bestrebungen des Landes absichern soll. Die kommenden Jahre müssen aber noch zeigen, ob Xis Reformen die in weiten Teilen symbiotische Beziehung zwischen KPCh und Volksbefreiungsarmee aufrecht erhalten können.
Was sonst noch geschah:
Chinas neue Regeln: die Regierung in Peking hat dieser Tage zahlreiche neue Regulierungen vorgestellt,. So wird die Stundenzahl, die Minderjährige mit Onlinespielen verbringen können, drastisch verkürzt. Zudem müssen ausländische Schiffe sich fortan bei örtlichen chinesischen Behörden über Funk melden, sobald sie chinesische Hoheitsgewässer befahren (was vor allem in umstrittenen Zonen im südchinesischen Meer für Verwirrung sorgen wird; China möchte hier vielleicht Präzedenzfälle schaffen, um darauf hinzuweisen, dass Schiffe die Gewässer gewohnheitsrechtlich als chinesisch anerkannt haben). Außerdem hat der Oberste Gerichtshof Chinas die Arbeitszeiten von Konzernen wie Alibaba für illegal erklärt: Mitarbeitende diese Tech-Unternehmen müssen nun nicht mehr nach dem 996-Muster (Von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends an 6 Tagen die Woche) arbeiten.
Stichtag 17. Oktober: Das wird voraussichtlich das Datum für Japans anstehende Unterhauswahl sein. Premier Suga tauscht derweil die Führungsriege der Partei aus. Man wolle frische Gesichter vor der Wahl präsentieren. Tatsächlich geht es hier vielmehr um Sugas politisches Überleben, meint Asahi Shimbun.
Neue Digitalbehörde gestartet: Wer schon einmal mit japanischer Bürokratie zu tun hatte, bekommt alleine bei dem Gedanken an dem Gang zur örtlichen Meldebehörde Panik. Chronisch veraltet und analog: so hat sich bisher nicht nur der Staat präsentiert; auch Banken und andere private Akteure scheinen noch in den 1980ern zu stecken. Am Donnerstag eröffnete jetzt offiziell eine neue, 600-Personen-starke Regierungsbehörde, die für eine bessere Digitalisierung des Staatswesens sorgen soll. Man kann ihr nur Erfolg wünschen.
Chaos in Südkoreas Präsidentschaftswahlkampf: Auch in Seoul erwartet man anstehende Wahlen. Bis zur Abstimmung über den neuen Präsidenten sind es noch knapp 200 Tage. Die Mitte-Links-Regierung von Moon Jae-In scheint sich auf den Gouverneur der Provinz Gyeonggi-do, Lee Jae-myung, als Kandidaten zu einigen. Die konservative Opposition veranstaltet unterdessen einen Prozess, der von einem Beteiligten als “Grundschultalentschau” bezeichnet wurde. Zudem wurde eine Fernsehdebatte unter Kandidaten der Hauptpartei des konservativen Lagers abgesagt. Weiterhin wird von der Partei die Möglichkeit einer nuklearen Aufrüstung Südkoreas ins Spiel gebracht. Es bleibt also spannend.
Und zum Schluss…
Gute Nachrichten für Tokyo: weniger Menschen in Südkorea haben eine negative Meinung über Japan als über China. Das hat tatsächlich eine historische Relevanz.
Soweit war es das für diese Woche. Kommentare, Themenvorschläge oder Kritik? Immer gerne per E-Mail an ausblickost [at] gmail . com oder über Twitter. Dieser Newsletter darf auch gerne an Interessierte weiterempfohlen werden. Bei Paywall-Problemen in verlinkten Artikeln stehe ich gerne mit Hilfe bereit. Bis zum kommenden Freitag und Wohlan!