Ausblick 2022/05: Grenzenlose Zweisamkeit
Xi und Putin demonstrieren bei ihrem Treffen Geschlossenheit. Japans Opposition versucht sich derweil an einer potenziell revolutionären Idee.
Willkommen zur fünften Ausgabe in diesem Jahr. Dieses Mal werfen wir einen Blick in die gemeinsame Erklärung von Russlands Präsident Wladimir Putin und KPCh-Generalsekretär Xi Jinping vom vergangenen Freitag. Und wir schauen, wie Japans größte Oppositionspartei Vertrauen zurückgewinnen möchte. Ein kostenloses Abo für diesen Newsletter gibt es direkt hier:
Was vom Putin-Xi-Treffen bleibt
Wenige Stunden vor der Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele ereignete sich das eigentliche diplomatische Highlight der vergangenen Wochen: das erste persönliche Treffen zwischen Wladimir Putin und Xi Jinping seit Beginn der noch andauernden Pandemie. In normalen Zeiten hatten Russlands Staatschef und der Generalsekretär der KPCh sich im Schnitt einmal jährlich getroffen, um wichtige Gemeinsamkeiten herauszustellen und die engen Beziehungen zwischen Peking und Moskau zu betonen.
Dieses Mal war keine Ausnahme, sondern eine willkommene Gelegenheit, die in letzter Zeit eskalierenden Beziehungen zum Westen noch einmal gemeinsam einzuordnen. Die offizielle Erklärung nach dem Treffen dürfte für beide, Xi und Putin, das gewünschte Ergebnis gebracht haben. Putin kann sich zumindest auf die verbale Unterstützung Pekings in der Ukraine-Krise sicher sein. Und Xi, bei diesem bilateralen Treffen eindeutig am längeren Hebel sitzend, hatte zumindest einen hochkarätigen Gast für die Olympischen Spiele. Kein Staats- oder Regierungschef der G7 oder anderer großer Länder aus dem Indopazifik nahm die Einladung zur Eröffnungszeremonie an.
Doch was steht eigentlich genau in der gemeinsamen Erklärung?
(Zitate von mir übersetzt und ggf. hervorgehoben)
Moskau und Peking verteidigen die globale „Demokratie“:
Beide Seiten sind sich einig, dass die Demokratie ein universeller menschlicher Wert und kein Privileg einer begrenzten Anzahl von Staaten ist und dass ihre Förderung und ihr Schutz eine gemeinsame Verantwortung der gesamten Weltgemeinschaft ist.
[...]
Die Seiten sind der Auffassung, dass das Eintreten für Demokratie und Menschenrechte nicht dazu benutzt werden darf, Druck auf andere Länder auszuüben. Sie wenden sich gegen den Missbrauch demokratischer Werte und die Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten unter dem Vorwand des Schutzes von Demokratie und Menschenrechten sowie gegen alle Versuche, Spaltungen und Konfrontationen in der Welt zu schüren. Die Seiten rufen die internationale Gemeinschaft auf, die kulturelle und zivilisatorische Vielfalt und das Recht der Völker verschiedener Länder auf Selbstbestimmung zu respektieren. Sie sind bereit, mit allen interessierten Partnern zusammenzuarbeiten, um eine echte Demokratie zu fördern.
Wir werden hier demnächst nochmal genau klären müssen, was man zumindest in China eigentlich unter dem Begriff „Demokratie“ versteht. Aber das nur als Randnotiz.
Gemeinsame geostrategische Projekte in Eurasien und darüberhinaus:
Beide Seiten sind bestrebt, ihre Arbeit zur Verknüpfung der Entwicklungspläne für die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) und die Belt and Road Initiative voranzutreiben, um die praktische Zusammenarbeit zwischen der EAWU und China in verschiedenen Bereichen zu intensivieren und eine stärkere Vernetzung zwischen dem asiatisch-pazifischen und dem eurasischen Raum zu fördern. Beide Seiten bekräftigen, dass sie sich darauf konzentrieren, parallel und in Abstimmung mit dem Aufbau der Belt and Road Initiative die Große Eurasische Partnerschaft aufzubauen, um die Entwicklung regionaler Zusammenschlüsse sowie bilaterale und multilaterale Integrationsprozesse zum Nutzen der Völker des eurasischen Kontinents zu fördern.
Die beiden Seiten kamen überein, die praktische Zusammenarbeit für die nachhaltige Entwicklung der Arktis weiterhin konsequent zu intensivieren.
Die Anerkennung der gegenseitigen geostrategischen Interessen, namentlich die Taiwan-Frage sowie die Ablehnung der sogenannten „Farben-Revolutionen“ in Ländern der ehemaligen UdSSR:
Beide Seiten bekräftigen ihre nachdrückliche gegenseitige Unterstützung für den Schutz ihrer Kerninteressen, ihrer staatlichen Souveränität und territorialen Integrität und lehnen die Einmischung externer Kräfte in ihre inneren Angelegenheiten ab.
Die russische Seite bekräftigt ihre Unterstützung für das Ein-China-Prinzip, bestätigt, dass Taiwan ein unveräußerlicher Teil Chinas ist, und lehnt jede Form der Unabhängigkeit Taiwans ab.
Russland und China wehren sich gegen Versuche externer Kräfte, die Sicherheit und Stabilität in ihren gemeinsamen Nachbarregionen zu untergraben, wollen der Einmischung externer Kräfte in die inneren Angelegenheiten souveräner Länder unter jedem Vorwand entgegentreten, lehnen Farben-Revolutionen ab und werden ihre Zusammenarbeit in den genannten Bereichen verstärken.
[...]
Die chinesische Seite steht den Vorschlägen der Russischen Föderation zur Schaffung langfristiger rechtsverbindlicher Sicherheitsgarantien in Europa wohlwollend gegenüber und unterstützt sie.
Wichtig hier jedoch: Die Ukraine wird in der gemeinsamen Erklärung, im Gegensatz zu Taiwan, nicht erwähnt. Chinas Unterstützung ist vielleicht nicht so grenzenlos wie gerne betont.
Gemeinsame Front gegen die USA im Indopazifik:
Die beiden Seiten lehnen eine weitere Erweiterung der NATO ab und fordern das Nordatlantische Bündnis auf, seine ideologisierten Ansätze des Kalten Krieges aufzugeben, die Souveränität, die Sicherheit und die Interessen anderer Länder sowie die Vielfalt ihrer zivilisatorischen, kulturellen und historischen Hintergründe zu respektieren und eine faire und objektive Haltung gegenüber der friedlichen Entwicklung anderer Staaten einzunehmen.
[...]
Beide Seiten sind ernsthaft besorgt über die trilaterale Sicherheitspartnerschaft zwischen Australien, den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich (AUKUS), die eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen ihren Mitgliedern in Bereichen vorsieht, die die strategische Stabilität betreffen, insbesondere über ihre Entscheidung, eine Zusammenarbeit im Bereich der atomgetriebenen U-Boote einzuleiten. Russland und China sind der Ansicht, dass derartige Maßnahmen den Zielen der Sicherheit und der nachhaltigen Entwicklung des asiatisch-pazifischen Raums zuwiderlaufen, die Gefahr eines Wettrüstens in der Region erhöhen und ein ernsthaftes Risiko der Verbreitung von Kernwaffen bergen.
Und auch Japan wird noch einmal erwähnt, wenn auch nur im Zusammenhang mit der Entsorgung von Atommüll aus Fukushima:
Die Pläne Japans, nuklear verseuchtes Wasser aus dem zerstörten Kernkraftwerk Fukushima ins Meer zu leiten, und die möglichen Umweltauswirkungen solcher Maßnahmen geben beiden Seiten Anlass zu großer Sorge. Beide Seiten betonen, dass die Entsorgung von nuklear verseuchtem Wasser verantwortungsbewusst gehandhabt und auf der Grundlage von Vereinbarungen zwischen der japanischen Seite und den Nachbarstaaten, anderen interessierten Parteien und den zuständigen internationalen Organisationen in angemessener Weise durchgeführt werden sollte, wobei Transparenz, wissenschaftliche Argumente und die Einhaltung des Völkerrechts zu gewährleisten sind.
Den weiteren Wortlaut - mit Ausführungen zu biologischen und chemischen Waffen, der zentralen Rolle der UN im internationalen System, den G20, BRICS und der Bedeutsamkeit der regelmäßigen trilateralen Treffen zusammen mit Indien - gibt es hier direkt beim Kreml in der englischen Version zum Nachlesen.
Weitere Gedanken zur geostrategischen Situation und den sino-russischen Beziehungen allgemein:
Diese Woche hat Japans Regierung ein Lieblingsprojekt von Ex-Premier Abe Shinzo auf Eis gelegt: die Beratungen mit Russland über eine gemeinsame Friedenserklärung über den Ausgang des Zweiten Weltkriegs sind vorerst abgebrochen worden. Damit wird Abes Lebenstraum, die in Japan als „nördliche Territorien“ bezeichneten und von Russland besetzten Inseln nördlich von Hokkaido von Russland zurückzubekommen. Premierminister Kishida hatte US-Präsident Joe Biden vor einigen Tagen zudem Japans volle (wenn auch natürlich nicht direkt militärische) Unterstützung bei einem möglichen russischen Einmarsch in die Ukraine versichert.
Wie genau Japans Unterstützung aussehen könnte, berichtete gestern dann prompt der nationale Rundfunk NHK mit Berufung auf die Regierung in Tokyo: Japan sei bereit, Teile der nationalen Vorräte an Flüssigerdgas nach Europa zu liefern, falls Russland den Gasfluss nach Westeuropa im Konfliktfall unterbrechen sollte. In dem Bericht wird von einer Art “Leihgabe” gesprochen, dieser letzte Aspekt ist in europäischen Medienberichten ein wenig untergegangen.
Wer noch mehr zur europäischen Diplomatie-Offensive gegenüber Russland und der Ukraine sowie Olaf Scholz‘ Antrittsbesuch in Washington erfahren möchte: am vergangenen Montag habe ich bei detektor.fm im Frühgespräch mit den Kollegen von Politico Europe genau darüber gesprochen. Die Podcast-Folge gibt es hier.
Ziemlich weit entfernt vom Ausgangsthema, aber trotzdem recht spannend: die Novaya Gazeta, eine der wenigen oppositionellen Publikationen in Russland, hat in ihrem englischsprachigen Newsletter diese Woche einen Beitrag über die anwachsende Kryptowährungs-Industrie im fernen Osten Russlands. Viel von der neuen Infrastruktur ist dabei nach schärferen Regulierungen aus China importiert worden (meine Übersetzung und Hervorhebung):
Die Computer benötigen für ihren Betrieb große Mengen an Strom, was wiederum große Mengen an Wärme erzeugt. Die Notwendigkeit, sie abzukühlen, führt zu einem noch höheren Energieverbrauch. In Abchasien, einer von Russland kontrollierten abtrünnigen Region Georgiens, hat beispielsweise von Russland kontrolliertes Krypto-Schürfen das Stromnetz lahmgelegt. Kein Wunder also, dass nur wenige Länder die Schürfer willkommen heißen. 2021 verbot China das Krypto-Mining, und ein Großteil der Ausrüstung gelangte über die russische Grenze - das meiste davon landete in der Oblast Irkutsk. Es ist kein Wunder, dass das Herz von Russlands berühmt-berüchtigtem kalten Sibirien - mit seinen billigen Stromtarifen - attraktiv für diejenigen ist, die mit Krypto-Mining reich werden wollen.
Alle Wunden verheilt? Japans größte Oppositionspartei vor der Oberhauswahl 2022
Ganz abseits vom diplomatischen Drama auf der Weltbühne bereitet sich die japanische Politik auf die Oberhauswahlen diesen Sommer vor (der Termin steht noch nicht fest). Nach der verheerenden Niederlage für das Mitte-Links-Lager bei den deutlich wichtigeren Unterhauswahlen Ende Oktober 2021 stellt sich für die Konstitutionell-Demokratische Partei (KDP) die Frage, welche Taktik man nun verfolgt und wie man verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnen möchte.
Ein großes Problem: so sehr man sich durch eine geschlossene Opposition bessere Chancen gegen die regierende Liberaldemokratische Partei (LDP) ausgerechnet hatte, so sehr hatten die Wählenden der KDP das Wahlbündnis mit der Kommunistischen Partei übel genommen. Besonders Rengo, der Gewerkschaftsdachverband und die wichtigste Unterstützergruppe für die KDP, liegt seit Jahren mit den Kommunisten im Streit und hatte das Wahlbündnis kritisiert. Ein erneutes Bündnis ist dieses Mal also eher unwahrscheinlich, wenngleich eine gemeinsame Strategie mit kleineren zentristischen und Mitte-Links-Parteien für KDP sicherlich eine Option wären.
Eine interessante Entwicklung zeigte sich bereits diese Woche: bevor man ab dem 18. Februar auch männliche Kandidaten registrieren möchte, soll es bis dahin erst einmal nur weibliche Kandidatinnnen geben. Das Ziel der KDP: Frauen die Möglichkeit geben, selbst die Initiative zur Bewerbung zu ergreifen und ihnen die notwendige Partei-Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. So soll im besten Fall die Hälfte der KDP-Kandidierenden bei der Oberhauswahl Frauen sein. Die Initiative wurde diese Woche von Generalsekretärin Nishimura Chinami vorgestellt. Sie war Ende letzten Jahres eine der Kandidatinnen für den KDP-Vorsitz und hat nach ihrer Niederlage die zentrale Aufgabe bekommen, die Geschlechtergleichheit in der Partei voranzutreiben. Die Entwicklungen dieser Woche sind ein erstes sichtbares Zeichen, dass die Partei es ziemlich ernst meint und die negativen Ereignisse der vergangenen Monate hinter sich lassen möchte.
Es bleibt also spannend: wie viele Frauen werden dadurch tatsächlich ermutigt, sich in Japans oftmals unangenehm chauvinistischem Politikbetrieb einzubringen? Wird die KDP bei einer möglichen Unterhauswahl in den kommenden Jahren oder bei Abstimmungen in den Präfekturen ähnlich verfahren? Und wie kommt diese Politik bei den Wählenden an?
Die ersten Antworten dürften im Laufe dieses Jahres vorliegen.
Soweit war es das für diese Woche. Kommentare, Themenvorschläge oder Kritik? Immer gerne per E-Mail an ausblickost [at] gmail . com oder über Twitter. Dieser Newsletter darf auch gerne an Interessierte weiterempfohlen werden. Bei Paywall-Problemen in verlinkten Artikeln stehe ich gerne mit Hilfe bereit. Bis zum kommenden Freitag und Wohlan!