2021/Woche 36: Anruf in Peking
Auszüge aus meinem Interview mit ARD-Korrespondent Daniel Satra in Peking. Außerdem: der Abschluss unserer Reihe zu COP26 in Glasgow.
Willkommen zurück. Es geht dieses Mal um einen Podcast und ein letztes Mal um den UN-Klimagipfel in Glasgow. Viel Spaß beim Lesen.
Zweimal China: weniger Austausch, anderes Feedback
Wie bereits vorletzte Woche angekündigt, habe ich ein gut halbstündiges Gespräch mit dem Fernsehkorrespondenten der ARD in China, Daniel Satra, führen können. Die Podcastfolge ist hier zu finden.
Daniel war bereits in verschiedenen Ländern als Korrespondent und Fernsehjournalist tätig, sowohl in Deutschland als auch in Asien. Bereits ab 2009 war er in der Volksrepublik China, um von dort für deutsche Medien zu berichten. Ein Jahrzehnt später ist er ein zweites Mal vor Ort.
Einen kleinen Auszug in Textform möchte ich auch hier im Newsletter noch einmal vorstellen.
Über seinen Arbeitsalltag in einem autoritären Staat erzählt Daniel Satra folgendes:
Der ist zuallererst einmal dadurch bestimmt, dass die örtlichen Behörden eigentlich kein großes Interesse daran haben, dass wir eine freie, umfassende und vielseitige Berichterstattung abliefern können. Das ist nicht so, dass hier wir quasi ständig durch Personen überwacht und gehindert werden. Das ist vielmehr so, dass die staatliche Propaganda hier seit Jahren den Menschen in China sehr klar macht, dass das Ausland in der Regel der Feind ist. Dass ausländische Medien vor allem aus westlichen liberalen Demokratien Fake News verbreiten, dass sie die chinesischen Wahrheiten verdrehen, dass man sich mit denen nicht einlassen soll.
Und insofern weiß ja eigentlich jeder im Land, dass es für sie oder für ihn nicht viel bringt, wenn sie sich mit uns treffen, wenn sie über ihr Leben, über ihre Probleme, über über Geschichten, die sie vielleicht erlebt haben in diesem Land sich mit ausländischen Medien auseinandersetzen, unterhalten. Das kann immer nur zu ihrem Nachteil gereichen. Das ist so die grundsätzliche Haltung, die hier quasi aus allen Propaganda-Kanälen auf die Leute einprasselt und das ist quasi unser unser Soziotop, in dem wir versuchen, trotzdem mit Leuten in Kontakt zu treten und trotzdem ihre Geschichten zu erzählen und trotzdem auch auf alle aufzupassen, mit denen wir reden.
Das ist es eben auch großer Bestandteil dieser Arbeit - abzuwägen. Mit wem können wir sprechen, mit wem können wir drehen? Wen können wir offen auch in unseren Beiträgen zeigen? Bei wem müssen wir vielleicht dafür sorgen, dass er anonymisiert ist, dass er oder sie nicht erkannt werden kann, weil das, was die Person sagt, einfach zu prekär ist und sie dann mit Konsequenzen fürchten muss.
Wir müssen Nachsorge treiben, wir müssen also mit den Leuten in Kontakt bleiben, auch nachdem wir irgendwo gedreht haben, auch nachdem etwas ausgestrahlt wurde, weil wir auch wissen, dass in Deutschland die chinesische Botschaft Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, die die Berichterstattung über China auswerten, sich deutsche Zeitungen aber auch unsere Fernsehbeiträge, unsere Posts, unsere Social Media anschauen und das dann zurück füttern nach China. Und insofern jeder, der sich mit uns einlässt, jeder, der mit uns zusammenarbeitet, der uns aus seinem Leben berichtet hat, läuft sozusagen Gefahr, danach in irgendeiner Form attackiert zu werden.
Über die Veränderungen in China seit 2009:
Ich finde das erstaunlich und frappierend zugleich, als ich im Jahr 2019 im Sommer hier angefangen habe und ziemlich schnell lernen musste, dass Leute, die vor zehn Jahren noch mit uns gesprochen haben, Experten für Wirtschaft sind gutes Beispiel. Professorinnen und Professoren an der an Unis, hier in Peking oder auch andernorts im Land. Mit denen konnte man zehn Jahre vorher sich noch verabreden und Interviews führen über den Zustand der chinesischen Wirtschaft, über Themen wie: Wo klemmt der Schuh? Wo muss nachgebessert werden? Wo kann auch die Parteiführung, wo kann auch die Staatsführung nachsteuern, damit irgendwelche Probleme behoben werden? Das war noch möglich.
2009, 2010 haben wir regelmäßig uns quasi Updates geholt aus dem Bereich der Forschung, viel Wirtschaft, aber auch Politologen, die mit uns gesprochen haben. Und zehn Jahre später, 2019, keiner mehr. Also mittlerweile auch in der Struktur und Zuschnitt der Universitäten, die hatte sich verändert. Da saß auch schon immer jemand von der Kommunistischen Partei, klar. Aber mittlerweile brauchen die, die dort arbeiten und sich mit Medien unterhalten wollen, eine Freigabe. Das heißt, es muss ganz oben auf den Tisch gelegt werden.
Und wenn dann ein ausländisches Medium aus einer westlichen Demokratie wie Deutschland anklopft, dann kriegen die einfach keine Freigabe. Hier und da klappt es mal, wenn man weiß, dass dieser Forscher, diese Forscherin besonders wichtig ist oder besonders nah an der Linie der Partei nach außen China darstellt. Aber im Prinzip ist eigentlich auch bei so einfachen Experten Anfragen das Leben mittlerweile deutlich schwieriger geworden.
In China gibt es nicht wie in einer freien Demokratie die üblichen Feedback-Channel, über die Politik und Staatsführung erfahren, wie bestimmte Entscheidung in der Bevölkerung ankommen. Dennoch ist auch in der Volksrepublik die Einbindung der öffentlichen Meinung wichtig und stabilisierend. Satra erklärt, wie soziale Medien lange dazu beigetragen haben:
Es ist extrem wenig geworden, auch da der Vergleich von vor zehn, elf Jahren. Damals kam Microblogging hoch. Weibo war so in seinen Anfängen, aber auch andere Online-Portale. Und es gab eine lebendige Szene von Bürgerinnen und Bürgern im Land, die aus ihren lokalen Communities, aus ihren Provinzen, aus ihren Städten berichtet haben. Denn wenn irgendwie auch Sachen schief gehen, wenn eine Müllverbrennungsanlage gebaut wurde und die Wohnsiedlung daneben dann plötzlich unter extremem Geruch und schlechter Luft litt, weil da nicht die richtigen Katalysatoren eingebaut waren.
Vor zehn, elf Jahren konnte man so was noch finden auf Plattformen im Netz, wo sich dann Bürgerinnen darüber aufgeregt haben, Infos gesammelt haben, appelliert haben an die örtlichen Behörden oder auch an übergeordnete Stellen in der Hauptstadt Peking.
Das ist [vorbei]. Sachen, die nicht positiv sanktioniert sind von den jeweiligen kommunistischen Parteikadern, die überall sitzen, auf jeder Ebene.
Jedes Dorf hat einen Parteichef, jede Stadt, jeder Bezirk, jede Provinz, jedes Ministerium, jede Institution ist immer auch mit der Kommunistischen Partei durch eine Person oder mehrere verbunden.
Und solange die nicht etwas sanktionieren, kann es überhaupt gar nicht öffentlich werden. Das ist sozusagen einmal komplett flankiert, eingefasst und es gibt keinen “Wildwuchs” mehr in dem Sinne.
Weitere Themen waren unter anderem die Vorbereitungen der Olympischen Winterspiele Anfang 2022 in Peking und die in der deutschen Berichterstattung zu kurz kommenden Themen aus der Volksrepublik. Das ganze Gespräch gibt es hier.
Bangladesh bei COP26: Musterschüler bei der Vorbereitung
Nach unserem Blick auf Südkorea und Fiji in den vergangenen Wochen schließen wir die Reihe zum UN-Klimagipfel mit Bangladesh ab.
Kaum ein Land auf dem asiatischen Festland ist so stark vom Klimawandel betroffen wie Bangladesh. Das Land mit seiner Bevölkerung von 160 Millionen Menschen ist niedrig gelegen und relativ arm, fast die gesamte Staatsfläche (80%) bildet praktisch das Flussdelta des Ganges. Diese Zone wird regelmäßig von Fluten und von Extremwetterlagen wie dem jährlichen Monsunregen heimgesucht. Das extreme Wetter war auch vorher Bestandteil des Alltags vieler Menschen in Bangladesh - doch die Wetterphänomene haben sich in den vergangenen Jahrzehnten gehäuft beziehungsweise in Teilen umgekehrt. Somit wurden Ernten zerstört und Menschenleben verloren. Zahlreiche Krankheiten wie Cholera treten aufgrund des Klimawandels gehäuft auf, auch das Dengue-Fieber breitet sich kontinuierlich aus. Die Weltbank zitiert zudem Studien, die eine signifikante Verschlechterung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung belegen können.
Die Regierung Bangladesh ist sich seit Jahrzehnten der wachsenden Problematik bewusst. Forschende gehen davon aus, dass in den kommenden Jahren etwa 30 Millionen Menschen ihr Zuhause an den Küsten des Landes aufgrund von Überflutungen und ähnlichen Phänomenen aufgeben müssen.
So hat man von staatlicher Seite bereits vor Jahren das Bewusstsein der Bevölkerung geschärft. Es gibt intensive Drills, äußerst präzise Wetterprognosen - und einen Fonds, der bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels helfen soll. Der 2010 etablierte Bangladesh Climate Change Resilience Fund (BCCRF) finanziert sich nicht nur von einheimischer Seite, sondern setzt auch auf die Unterstützung westlicher Staaten und internationaler Organisationen. So sind in den ersten Jahren seit Entstehung 170 Millionen $US an die betroffenen Bevölkerungsschichten verteilt worden. Die Ziele des Fonds, der auch von der Weltbank mitgestaltet wurde, sind:
Lebensmittelsicherheit in Überschwemmungsgebieten
Umfassendes Katastrophenmanagement im Notfall
Aufbau einer klimasicheren Infrasturktur
Forschung und Entwicklung
Reduzierung der Emissionen mit gleichzeitigem Wachstum der einheimischen Wirtschaft
Hilfe zur Selbsthilfe
Auch wenn die Summen des BCCRF bisher überschaubar sind, ist Bangladesh trotz seiner ökonomischen und geografischen Engpässe besser angepasst an den Klimawandel als vergleichbare Staaten.
Bangladeshs Premierministerin Sheikh Hasina war auch bei der COP26 vor Ort und wies die reicheren Staaten der Welt nachdrücklich auf abgegebene Versprechen zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen hin. Ihr Land hat zudem derzeit den Vorsitz des “Climate Vulnerable Forum” inne, einem Bündnis aus asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten, die besonders stark vom Klimawandel betroffen sind.
Man wird abwarten müssen, ob die Appelle dieser Länder in Glasgow nach dem Ende des Klimagipfels einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Bangladesh bereitet sich derweil weiter auf sicher eintretende Extremwetterlagen vor.
Weiter Meldungen aus dem Indopazifik:
Das Ende der Naivität, Teil 1: Angela Merkels Abschiedstournee mit zahlreichen Interviews geht weiter. Auch mit Reuters hat sie gesprochen - und Versäumnisse in der deutschen China-Politik in den letzten 16 Jahren eingeräumt. Man sei zu Beginn vielleicht zu naiv gegenüber Peking gewesen, so die scheidende Bundeskanzlerin.
Das Ende der Naivität, Teil 2: Die EU ist auf bestem Wege, einen anti coercion mechanism einzuführen. Dieser soll europäischen Firmen Schutz vor Strafen von auswärtigen Regierungen und Staaten ermöglichen. Gerichtet ist der Mechanismus vor allem gegen Peking, wie Politico Europe berichtet. Im Dezember könnte er in Kraft treten.
Gleiche sprachliche Wurzeln des Türkischen und des Japanischen? Forschende am Max Planck Institute for the Science of Human History im thüringischen Jena haben den Ursprung sowohl der japanischen als auch des türkischen Sprache im heutigen Nordostchina verortet. Die These: Vor 9000 Jahren dort lebende Menschen, die vor allem Hirse anbauten, sprachen eine Proto-Transeurasische Sprache, die sich nach und nach aufspaltete und geografisch auseinanderentwickelte. Tatsächlich weisen Japanisch und Türkisch viele grammatikalische Ähnlichkeiten auf. Nun hat man linguistische, archäologische und genetische Beweise vereint und wichtige Erkenntisse gewonnen. Mehr dazu im New Scientist.
Wer führt Japans Opposition an? Die größte Oppositionspartei des Landes, die linkszentristische Konstitutionell-Demokratische Partei (KDP), ist nach der herben Wahlniederlage Ende Oktober und dem Abgang von Parteichef Edano Yukio auf der Suche nach neuer Führung. Zwei Männer und eine Frau haben nun ihre Kandidaturen bekanntgegeben. Einig sind sie sich zumindest in einem Punkt: Die Partei muss sich grundlegend erneuern. Das schauen wir uns nächste Woche mal genauer an.
Das wars für heute. Kommentare oder Kritik? immer gerne per E-Mail an ausblickost [at] gmail . com oder über Twitter. Dieser Newsletter darf auch gerne an Interessierte weiterempfohlen werden. Bis zum kommenden Freitag und Wohlan!